Verwobene Geschichte(n). Herkunftsorte von Objekten und ihre Beziehungen zu Schleswig-Holstein (8)
Sklavenschiffe und Kakao
„Nein – im Hamburger Hafen legte niemals ein „Sklavenschiff“ an“, heißt es auf der Internetseite „Geschichtsbuch.Hamburg.de“ im Kapitel Sklavenhalter und Sklavenhändler, die von der Hamburger Behörde für Schule und Bildung, der Hamburger Landeszentrale für politische Bildung, der Uni Hamburg und anderen mehr betrieben wird. Das klingt gut, verschweigt aber die Tatsache, dass Hamburger Politiker, Kaufleute, Reeder und Seeleute von 1650 bis 1815 aktiv am Menschenhandel beteiligt waren. Die Sklavenschiffe legten hier zwar nicht an, sie fuhren aber, wie seit 1958 bekannt ist, von Hamburg ab (vgl. Ressel 2011, 2014). Und nicht nur das: Nach dem Verbot des Menschenhandels in Dänemark (1803) und England (1807) übernahm Hamburg bis 1815 die Sklaventransporte für andere Nationen (Ressel 2011). Auch ein Sklavenschiff, die „Jonge Tobias“, wurde in Hamburg gebaut. (ID 21595 der Datenbank Slavevoyages). Eines der Hauptgebiete des Handels mit versklavten Menschen war das heutige Ghana.
Wie aber steht es mit Schleswig-Holstein? Welche Verbindungen zu Ghana gab und gibt es?
Vorauszuschicken ist, dass das heutige Land Ghana als Teil der sogenannten „Goldküste“ zu der historischen Region „Guinea“ gehörte. Diese umfasst die heutigen Länder Liberia, Elfenbeinküste, Ghana, Togo, Benin und Nigeria (vgl. die Karte von 1727: Negroland and Guinea with the European Settlements, 1736 - Guinea (Region) – Wikipedia). Mit der Bezeichnung „Goldküste“ wurden zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich große Gebiete an der westafrikanischen Küste bezeichnet. Um 1750 reichte sie vom Kap der drei Spitzen im Westen bis zur Mündung des Volta-Flusses im Osten (beides heute Ghana)(Seale A New and Correct Map of the Coast of Africa, from Cape Blanco, to the Coast of Angola 1750 UTA (A Map of the Gold Coast on a larger Scale) - Goldküste (Westafrika) – Wikipedia). An diesem Küstenabschnitt reihten sich, wie Perlen auf einer Kette, im Laufe der Zeit die Kleinkolonien / Handelsniederlassungen und befestigten Forts der unterschiedlichsten europäischen Mächte, Portugiesen, Brandenburger, Niederländer, Schweden, Dänen und Engländer.
Die verwobene Geschichte zwischen Schleswig-Holstein und Ghana beginnt vermutlich mit dem Augsburger Handelshaus der Fugger. Dieses schiffte um 1500 sein im heutigen Thüringen, Polen und der Slowakei abgebautes Kupfer u.a. von Lübeck aus nach Lissabon. Das Kupfer, bisweilen zu massiven, Manillen genannten Armreifen geformt, war in Afrika begehrt. Es wurde von den Portugiesen an der westafrikanischen Küste zum Kauf von Menschen benutzt, den sie seit 1444 betrieben. Kurz vor 1500 konnten sie für 12 bis 15 Manillen einen Menschen kaufen (Vermisst in Benin | Relief plate: Europeans (Portuguese) surrounded by five manillas).
In der Folgezeit wurden die Verflechtungen von Schleswig-Holstein und Ghana immer enger. Dies steht im Zusammenhang mit dem dänischen und dem niederländischen Kolonialismus und der Seefahrt. Zum einen gehörten von 1460 bis 1864 Teile von Schleswig-Holstein zum Königreich Dänemark, zum anderen fuhren viele Seeleute unter niederländischer Flagge.
Da das Geschäft mit afrikanischem Gold, Gewürzen, Elfenbein und Menschen sehr einträglich war, stiegen nach den Portugiesen auch andere europäische Nationen mit ein. 1606 befand sich ein „in Lübeck beheimatetes Schiff unter dem Kommando von Jacob Hollander im Golf von Guinea“ (Rose 1987: 155).
1646 erhielt die „Glückstadt“, ein Glückstädter Schiff unter Kapitän Gerrit Cornelisz, einen Seepass zum Handel mit Guinea. Von 347 dort verladenen Menschen gelangten 269 lebend in Barbados an (Voyage ID 26411 der Datenbank Slavevoyages). Anfang April 1657 berichtet der niederländische General-Gouverneur der „Goldküste“ von dem Schiff „Arent“ aus Lübeck, das sich vor der Stadt Taccarary (heute Sekondi-Takoradi) aufhielt, um Sklaven zu erwerben. Im selben Jahr unternahm auch das Schiff „Der Engel“ im Auftrag von sechs Lübecker Reedern eine Fahrt an die westafrikanische Küste. Eine unbekannte Anzahl versklavter Menschen wurde geladen und nach Martinique gebracht. Dazu kommen noch Barrengold und Elefantenstoßzähne, die der Obersteuermann auf eigene Rechnung geladen hatte.
1658 übernahmen die Dänen im heutigen Ghana vier Forts/ Kleinkolonien von der Schwedischen-Afrika-Kompagnie. 1659 wurde in Hamburg die Glückstädter-Afrika-Kompagnie gegründet. Die Dänische Compagnie und ihre Kopenhagener Nachfolgehandelsvereinigungen (wie die 1671 gegründete Dänische Westindien-Guinea-Kompagnie) übernahmen nicht nur den Handel mit Gold, sondern führten ab 1698 auch den Menschenhandel der Schweden weiter und verfrachteten die von afrikanischen Menschenjägern und Menschenhändlern an die europäischen Händler verkauften Menschen nach Südamerika und in die Karibik. Nach der Besetzung der karibischen Inseln St. Thomas (1666), St. John (1718), St. Croix (1735) durch die Dänen wurden zunächst dänische Gefangene und Kontraktarbeiter zur Arbeit auf den dort errichteten Tabak- und Zuckerplantagen angeworben. Ab etwa 1672 wurden die ersten afrikanischen Versklavten eingesetzt. Jørgen Carstens (1678-1720) aus Flensburg war einer der Plantagenbesitzer. Ihm gehörte die Mosquito Bay Plantage. Wieviel Versklavte er besaß, ist nicht überliefert. Für seinen 1705 auf St. Thomas geborenen Sohn, der die Plantage übernahm und weitere erwerben konnte, arbeiteten 150 Versklavte.
Der „Atlantische Dreieckshandel“ entstand, den der dänische Theologe und Lehrer des Prinzen Friedrich Karl von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Plön, Erik Pontoppidan 1730 wie folgt beschrieb: „Was die Dänen aus Guinea bringen / ist Gold / und Elfenbein/ wie auch Sklaven / welche letztere sie daselbst erhandeln / um sie nach St. Thomas in West-Indien zu führen / und daselbst in ihren Toback- Zucker- und Indigo-Plantagen zu gebrauchen. Dahin führen ihre Schiffe Brandwein / Pulwer / Schieß-Gewehr / Talg und verschiedene zur Kleidung dienliche Sachen. Von St. Thomas in West-Indien / woselbst / gleich wie zu Dansborg in Guinea , die Dänische Compagnie ihre Gouverneurs, Commandanten, Kaufleute und Soldaten hält / werden nach Dännemarck gebracht / verschiedene gute Waaren / als Zucker / Baumwolle / Indigo / Toback / Caret / Orlean und allerhand zur Färberey dienliche Hölzer.“
Heinrich Carl Schimmelmann (1724-1782), der mit dem Verkauf vom Meißner Porzellan reich geworden war und 1759 das Ahrensburger Schloss gekauft hatte, vereinigte alle Aspekte des Dreieckshandels in einer Person, nachdem er 1763 vom dänischen König die vier Plantagen der aufgelösten Westindisch-Guinea-Kompagnie samt Zuckeraffinerie und Packhaus auf Christianshavn gekauft hatte. Er wurde zu größten Sklavenhalter in Dänisch-Westindien. Auf seinen Plantagen wurde Zuckerrohr, Rum und Baumwolle produziert, die in seinen dänischen Manufakturen zu Stoffen und Schnaps verarbeitet wurden. Außerdem ließ er in seiner Fabrik Gewehre fertigen. Diese, die Stoffe und der Alkohol wurden nach Ghana geliefert, um Menschenhändler zu bezahlen, deren Opfer später auf den Plantagen arbeiten mussten. Ab und an verkaufte er auf Bestellung auch Menschen von seinen Plantagen an zahlende Interessenten in Deutschland und Dänemark. Die Versklavten wurden nach Kopenhagen gebracht und gelangten teilweise über Lübeck ins deutsche Hinterland. Meist arbeiteten sie dann als sogenannter „Kammermohr“.
Schleswig-Holsteinische Seeleute, die ab 1732 bei der niederländischen Middelburgschen Commercie Compagnie anheuerten, arbeiteten für einen Arbeitgeber, der sich auf den Sklavenhandel spezialisiert hatte. Man fuhr die Küsten der heutigen Länder Ghana, Elfenbeinküste, Liberia, Kongo und Angola an. Ziele waren vor allem die niederländischen Kolonien in der Karibik und dem nördlichen Südamerika. Die namentlich bekannten Seeleute stammten von Sylt, Husum, Nordstrand, Lübeck, Föhr, Fehmarn, Uetersen, Elmshorn, Schleswig, Flensburg, Leck, Kiel oder allgemein aus Holstein usw.
Aber nicht nur von Lübeck, sondern auch von anderen Orten Schleswig-Holsteins starteten Sklavenschiffe: So fuhren die „Commercen“ und die „Fortuna“ ca. 1797 und 1800 ab Husum.
Zusätzlich stellten die Schleswig-Holsteiner in den 1760er Jahren etwa 5% der europäischen Angestellten in den dänischen Exklaven in Ghana. Dazu kommt noch eine unklare Anzahl Lübecker. In den 1790er Jahren erhöhte sich der Anteil der Schleswiger und Holsteiner auf 10%.
Weitere interessante Informationen enthalten die Grabsteine auf Amrumer und Föhrer Friedhöfen. Da ist der Kapitän Harck Nickelsen (1706-1770), der nach drei Jahren in algerischer Sklaverei selbst zum Kapitän eines Sklavenschiffes wurde, oder Philip Hasold (1747-1835), der „nach Africa und Süd-Amerika“ fuhr. Einer der letzten Sklavenschiffkapitäne war Peter Hansen (1787-1863) aus Angeln, der auch noch 1811, also nach dem Verbot des Sklavenhandels, illegale Menschentransporte unternahm. In seiner Biographie schreibt er von seinem erfreuten Reeder, für den er Menschen zu 7 bis 10 Dollar in Cape Mount (heute Liberia) einkaufte und in Kuba für 200 bis 400 Dollar verkaufte.
1884 wurde der östliche Teil des heutigen Ghanas Teil der deutschen Kolonie Togo. Unter den dort tätigen Missionaren der Norddeutsche Missionsgesellschaft befand sich ein Schleswig-Holsteiner.
Zusätzlich zu diesen direkten Kontakten mit Ghana hatten zunächst der Adel und dann zunehmend die Mehrheit der Bevölkerung Schleswig-Holsteins indirekte Kontakte zu dem Land und seinen dort lebenden oder in Amerika und der Karibik versklavten Bewohnern. Als Konsumenten von Gewürzen wie Pfeffer, von Zucker, Rum und anderen Schnapsformen aus Zuckerrohr oder Tabak wurden sie nicht nur zu Nutznießern des Menschenhandels, der Versklavung und der Ausbeutung. Durch ihre Nachfrage hielten sie das Rad auch am Laufen und Zuckerraffineriebesitzer wie der Flensburger Andreas Christiansen senior oder Rumproduzenten wurden reich.
Heute sind wir alle Nutznießer von Kaffee, Schokolade und Kakao oder Baumwolle aus Ghana. Ghana ist weltweit der zweigrößte Kakaoproduzent. Dies geschieht in weiten Teilen unter Einsatz von Kinderarbeit. Die Baumwolle wird zu Kleidung verarbeitet, die in Shops von Kaffeefirmen oder bei den gängigen Discountern verkauft wird. Unsichtbarer dagegen sind die Importe von Erdöl und Erdgas, obwohl sie 2018 etwa ein Drittel des Importes aus Ghana ausmachten.
Ghana:
Mit einer Größe von 238.537 qkm ist Ghana etwa 15mal größer als Schleswig-Holstein (15.763 qkm); die Bevölkerung von 30,79 Millionen Einwohner ist etwas mehr als 10mal so viel wie in SH (2.910.875); in dem Land leben etwa 118 Ethnien, zwischen 80 und 100 indigene Sprachen werden gesprochen; neben Englisch als Amtssprache werden offiziell neun Sprachen staatlicherseits gefördert und unterrichtet (SH: regional unterschiedlich: bis zu fünf Amtssprachen); jährlicher Niederschlag je nach Region zwischen 800 mm (Accra) und 2200 mm (an der Westküste) (SH: 789 mm); Durchschnittstemperatur 30°C: (SH: 8,3°C). Derzeit leben 1.520 Ghanaer in Schleswig-Holstein. Die meisten haben ihren Wohnsitz im Kreis Pinneberg, in Kiel und in Nordfriesland.
Fotos: Wyk: © Dr. Carl-Häberlin-Friesen-Museum, Arbeitsfoto Kalka; Schleswig: © Museum für Archäologie Schloss Gottorf, Fotograf: Sönke Ehlert, Kiel, Arbeitsfoto Kalka; Fehmarn: © Galileo Wissenswelt Überseemuseum, Fotografen, Joachim Löschner, Hamburg, Tanja Brümmer, Husum.
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Dutch Gold Coast - WikipediaMiddelburgse Commercie Compagnie | Aan boord van de Eenigheid (slavenhandelmcc.nl)
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Eine Sensation für die Fuggerforschung - context verlag Augsburg Nürnberg (context-mv.de)
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Fabric of cotton in Ghana - LindaLu (africaneuropean.nl)
Baumwolle fair trade Bio Kleinbauern Ghana Cotton made in Africa (ecowoman.de)
Cotton made in Africa: Das steckt hinter der nachhaltigen Baumwolle - Utopia.de
Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Ghana — fairafric
Ghana – Lebensmittelverarbeitungstechnik und -logistik (gtai.de)
Peter Simon Detlev Bahnsen - Sonderjylland Schleswig Kolonial (sonderjylland-schleswig-kolonial.eu)
Harck Nickelsen Lesehilfe | Erzählende Steine (erzaehlende-steine.de)
Liste der Völker Ghanas – Wikipedia
Liste der Sprachen Ghanas – Wikipedia
Klima Ghana - Klimadiagramm, Klimatabelle - WetterKontor
Schutz-Mission: Dänische Marine tötet 4 Piraten im Golf von Guinea | Euronews
Ludvig Ferdinand Rømer - Wikipedia
Der gute Mensch aus Elsfleth - taz.de
A I 4 - j 20 SH (statistik-nord.de)
Kakaoanbau in Westafrika: Noch viel Kinderarbeit in der Schokolade | tagesschau.de
Teurer Kakao gegen illegale Kinderarbeit - Welthungerhilfe
Kinderarbeit im Kakaoanbau | Make Chocolate Fair! Deutschland
Erinnerungsorte - Sonderjylland Schleswig Kolonial (sonderjylland-schleswig-kolonial.eu) (hier insbesondere: Flensburg)
Verwobene Geschichte(n). Herkunftsorte von Objekten und ihre Beziehungen zu Schleswig-Holstein (7)
Mehr als nur Ostereier
Schleswig-Holsteinern etwas über die Beziehungen ihres Landes zu Russland zu erzählen, ist wie Eulen nach Athen zu tragen. Schließlich wurde hier ein russischer Zar geboren, das Herzogtum Holstein-Gottorf wurde für 30 Jahre von Russland aus regiert und man erlebte zwei „Kosakenwinter“. Nicht zu vergessen, dass sich der Reichtum Lübecks zur Hansezeit auch auf dem Handel mit Russland gründete und dessen baulicher Niederschlag heute viele Touristen anzieht.
Die frühesten Beziehungen zu Russland und der Ukraine gehen in die Zeit der Wikinger zurück. Ihre Unternehmungen führten sie bis nach Nowgorod und Kiew. Haithabu, in der Nähe von Schleswig, war etwa 300 Jahre lang eine der bedeutendsten und größten Städte der Skandinavier. Die Stadt war nicht nur ein wichtiger Warenumschlagplatz. Hier wurden auch Glasperlen orientalischen Typs hergestellt, die mindestens bis nach Nowgorod verhandelt wurden. In umgekehrter Richtung gelangte ein aus dem 10. Jahrhundert stammendes sogenanntes „Kiewer Osterei“ nach Haithabu. Auch nach der Zerstörung von Haithabu im Jahr 1066 unterhielt Schleswig Handelskontakte zu Nowgorod. Seit dem Ende des 11. Jahrhunderts gewannen diese Beziehungen zunehmend an Bedeutung, wodurch sich Schleswig zu einem wichtigen russischen Handelspartner entwickelte.
In der Hansezeit war es vor allem aber die Lübecker Nowgorodfahrer-Kompagnie, die Beziehungen zu Russland unterhielt. Um 1200 eröffneten sie dort ein eigenes Kontor und handelten zunächst russische Pelze und Wachs gegen Heringe, Tuch, Salz, Buntmetalle etc. ein. Damit möglichst viele Lübecker Kaufleute an den Geschäften mit Russland teilhaben konnten, legten die Regeln der Kompagnie fest, dass jeder von ihnen pro Jahr maximal für sechs Monate in Nowgorod bleiben konnte. Folglich gab es die Sommer- und die Winterfahrer.
Einer der Händler, der Lübecker Kaufmann Jacob Potharst, verteilte nach dem Tode seines Vaters seinen Reichtum an die Armen, trat in ein orthodoxes Kloster ein, erhielt den Mönchnamen Prokop und lebte als „Narr in Christo“ auf der Straße. Er soll die Stadt Weliki Ustjug durch seine Gebete vor dem Untergang gerettet haben. 1303 starb er in Weliki Ustjug. Bereits 1547 wurde seine Verehrung als Heiliger Prokop von Ustjug bestätigt.
Die Darstellung eines russischen Kaufmanns mit geflochtenen Zöpfen, Pelzmütze und einem Marderfell in der Hand zierte ein um 1425/30 geschnitztes Chorgestühl des Lübecker Doms, das jetzt im St. Annen-Museum aufbewahrt wird (Einzelobjektansicht | Museen Schleswig - Holstein & Hamburg (museen-sh.de)).
1633 wollte Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf die Lübecker Vormachtstellung unterlaufen und stattete 1633 eine Gesandtschaft nach Moskau aus, um ein Handelsabkommen mit dem Zaren zu vereinbaren. Das Abkommen kam nicht zustande, aber der Sekretär der Expedition, Adam Olearius, veröffentlichte 1663 eine sehr interessante Beschreibung des Moskauer Hofes.
Während des Großen Nordischen Krieges (1700-1721,) hielt sich Zar Peter der Große mehrmals in Schleswig-Holstein auf (Schleswig 1713, Lübeck 1716). Ein Zeitgenosse berichtet aus Gottorf: „Den 6. Februar arrivierten Ihro Czaristische Majestät auf dem fürstlichen Residenzschloss Gottorf wie ingleichen Ihro Kgl. Majestät von Dänemark, besahen auf dasigem Schloss die Gemächer, das neue Werk und den Jägerhof. Insbesonderheit hat Ihre Czaristische Majestät der allda befindliche große Globus so wohl gefallen, dass sie sich auch dahinein gesetzt und fleißig betrachtet haben.“ (zitiert nach Wegener 2021). Peter der Große „erbat“ sich den Globus und ließ ihn in Gottorf ab- und in St. Petersburg wiederaufbauen.
Im Verlauf des Krieges wurde Friedrichstadt Ende Januar 1713 von 4.000 Schweden besetzt. Unter Führung Zar Peter des Großen wurden die Schweden von der Streitmacht der Russen, Dänen und Sachsen vertrieben. Die Sieger requirierten Nahrungsmittel und Baumaterial, Bestechungsgelder flossen, Kriegsbeute wurde gemacht. Für Friedrichstadt war dies der „(erste) Kosakenwinter“.
Zu Anfang des 18. Jahrhunderts verstärkten die Lübecker Kaufleute ihre Handelsbeziehungen zu Archangelsk in Nordrussland. Die Stadt war seit dem 16. Jahrhundert der einzige Hafen, über den Moskau unmittelbare, nicht von Schweden kontrollierte Handelsbeziehungen zum Westen unterhalten konnte. Exportiert wurde vor allem Leder. Außerdem gelangten verzierte Elfenbeinkästchen, Birkenrindengefäße, aber auch Lackwaren, die in verschiedenen Teilen Russlands entstanden und in den Hafenstädten an Seeleute und Händler verkauft wurden, bis ins 19. Jahrhundert hinein nach Schleswig-Holstein.
Nach der Gründung St. Petersburgs verlagerte sich der russische Handel zunehmend an die Ostsee. 1717 erreichte das erste Schiff aus St. Petersburg Lübeck, neun Schiffe verließen Lübeck in diese Richtung. Nach dem Ende des Nordischen Krieges verstärkte sich der Handel und Petersburg beherrschte den russischen Außenhandel. 1759 liefen 67 Schiffe aus Lübeck und sieben Schiffe aus Holstein in St. Petersburg ein. Wachs (für den Schiffbau und zum Glätten der Taue), Segeltuch aus Leinen, Seifentalg, Teer und Pech, aber auch persische Seide gelangten nach Lübeck. Während des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) erreichte die Lübecker Einfuhr aus Russland mit einem Wert von 1.729.200 Mark Lübsch einen ungeahnten Hochstand.
1725 heiratete Herzog Carl Friedrich von Schleswig-Holstein-Gottorf in die russische Zarenlinie ein. Und von 1743 an wurde das Herzogtum Holstein von Russland aus regiert. Carl Friedrichs Sohn bestieg 1762 als Zar Peter III den russischen Thron, sein Enkel Paul war bis 1773 Herzog von Holstein-Gottorf und von 1796-1801 russischer Zar. Als Paul das Herzogtum Holstein 1773 an Dänemark abtrat, endete die 30jährige russische Zeit. Holstein gehörte seitdem zu Dänemark.
Im Sommer 1763 unterschrieb Zarin Katharina die Große folgenden Erlass : „Wir, Catharina die Zweite, Zarin und Selbstherrscherin aller Reußen zu Moskau, Kiew, Wladimir ... Verstatten allen Ausländern, in Unser Reich zu kommen, um sich in allen Gouvernements, wo es einem jeden gefällig, häuslich niederzulassen“. Sie gewährte ihnen Religionsfreiheit, Befreiung vom Militärdienst, lokale Selbstverwaltung, finanzielle Starthilfen und 30jährige Steuerfreiheit. Bis zum Anwerbestopp im Jahr 1774 folgten 30.623 Menschen dem Aufruf, die meisten von ihnen kamen aus deutschsprachigen Gebieten. Die russische Regierung empfahl zur Einreise den Seeweg. Der Auswandererhafen, das Tor zum Osten, war Lübeck. Der Kolonist Bernhard Ludwig von Platen beschrieb in einem Gedicht seine Reise: „[…] So lebt ich 14 Tag / Ganz ruhig im Quartier / Allein da gings zu Schiff / ein sehr betrübt Plamir. / Da ward ein Jeder Mann / Mit Brofiant versehen / Und so nach Petersburg / Ins Schiff hinein zu gehen / Allein condrerer Wind / Macht uns die Reise schwer / Das Brofiant ging aus / Die Taschen wurden leer. / Sechs Wochen mußten wir / die Wasserfahrt ausstehen/ Angst, Elend, Hungersnoth / Täglich vor den Augen sehen / Also daß wir zuletzt Salzwasser / Schimmlich Brod / Zur Lebensunterhalt / Erhielten kaum zur Noth. […]“ (geschichte der russlanddeutschen - poem platen (russlanddeutschegeschichte.de)).
Im Zuge der napoleonischen Kriege kam es in Schleswig-Holstein zu Kämpfen zwischen der bunt zusammengewürfelten sogenannten Nordarmee (Preußen, Russen, Schweden) und den mit den Franzosen verbündeten Dänen. Die etwa 2.000 Kosaken des Heeres mit ihren bunten Uniformen gaben dem Winter 1813/14 seinen Namen: „Kosakenwinter“. Sie beeindruckten einerseits durch ihre reiterlichen Leistungen, andererseits wurden sie „zum Symbol aller Schrecken“, obwohl die deutschen Husarenregimenter und Freicorps „bei weitem rücksichtsloser“ vorgingen (Hübner 2003: 85).
100 Jahre später standen sich Russen und Deutsche im Ersten Weltkrieg feindlich gegenüber. 1,5 Millionen Russen gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft (Nagornaja 2014: 143), davon sind nachweislich 535 in Schleswig-Holstein begraben.
Im Zweiten Weltkrieg mussten 4.725.000 Menschen aus der Sowjetunion, Kriegsgefangene und Zivilarbeiter:innen, von 1941-1945 in Deutschland Zwangsarbeit leisten. Unter den 2.775.000 Zivilarbeiter:innen (Zwangsarbeit - Hintergrund • Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte (zwangsarbeit-archiv.de) ) befanden sich 2,4 Millionen Ukrainer:innen (Zweiter Weltkrieg in der Ukraine - "Ein riesiger blinder Fleck im historischen Gedächtnis Deutschlands" (deutschlandfunk.de)). In Schleswig-Holstein werden von der Forschungsgruppe „Zwangsarbeit in Schleswig-Holstein“/Uwe Fentsahm 1959 Lager aufgeführt, „in denen ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene, die ebenfalls zum „Arbeitseinsatz“ hinzugezogen wurden, während des Zweiten Weltkrieges untergebracht waren“ (Köhler, Lehmann 2001). Es dürfte sich insgesamt um mehr als 200.000 Menschen gehandelt haben (Frameset für "Zwangsarbeit" (zwangsarbeiter-s-h.de): Erläuterung), deren „[…] Arbeits- und Lebensbedingungen oft dem geltenden Völkerrecht [widersprachen]“ (Zwangsarbeit – Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte (geschichte-s-h.de)). Eine Analyse der Lager, die die Forschungsgruppe nennt, ergibt, dass in mindestens 388 von ihnen Sowjetbürger lebten, in 21 werden ausdrücklich Ukrainer genannt.
In Kiel wurde im Juli 1944 außerdem das „Arbeitserziehungslager Nordmark“ errichtet, es bestand bis zum 4. Mai 1945. Von den insgesamt 4.000 bis 5.000 Menschen, die in dieser Zeit unter häufigen Misshandlungen, mangelhafter Hygiene, schlechtem Essen und unmenschlicher Härte der Arbeit, leiden mussten, stammten 2/3 aus der Sowjetunion und Polen (Arbeitserziehungslager Nordmark 1944-1945 – Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte (geschichte-s-h.de)).
Auch in den in Schleswig-Holstein gelegenen Außenlagern des Konzentrationslagers Neuengamme (Hamburg), Ladelund, Husum-Schwesing und Kaltenkirchen-Springhirsch, erlitten u.a. Russen und Ukrainer brutale Behandlungen oder den Tod. „Eine dreimonatige Hölle und ein Massenmord ohne Sinn“, fasst der dänische Häftlingsarzt Paul Thygesen das kurze Bestehen des Lagers in Husum-Schwesing zusammen (Bästlein 2013: 276).
Insgesamt starben in Schleswig-Holstein etwa 5.400 Sowjetrussen in der faschistischen Gefangenschaft. Auf ihren Grabsteinen wird nicht zwischen Russen und Ukrainern unterschieden.
Nach dem Krieg, im Juli 1945, wurden in Schleswig-Holstein 130.255 sogenannte „Displaced Persons“ gezählt, also als Menschen, die sich aufgrund der NS-Diktatur außerhalb ihrer Heimat aufhielten und repatriiert wurden oder beispielsweise in die USA, nach Kanada oder Australien auswanderten. Unter den Displaced Persons befanden sich 4.629 Russen sowie 32.859 Balten und Ukrainer. Viele von ihnen befürchteten in der Sowjetunion in Lagerhaft genommen zu werden, da sie dort pauschal als Kollaborateure galten.
Drei ethnographische Objekte aus der Ukraine und 51 aus Russland befinden sich derzeit in den Sammlungen der am Projekt teilnehmenden Museen. Dies ist angesichts der 3.225 Ukrainer und 8.240 Russen, die Ende 2020 in Schleswig-Holstein lebten, nicht viel, vergleicht man es mit den fast 400 Gegenständen von der Insel Papua-Neuguinea.
Elfenbeinkästchen aus Archangelsk, Birkenrindendosen, lackierte Holzschalen und -löffel sprechen von den Handelsbeziehungen vergangener Zeiten. Säbel aus den Jahren 1909, 1914 und 1929 zeugen von den Weltkriegen, Anstecknadeln vom Kampf gegen den Alkoholismus, Matroschkapuppen vom Tourismus.
Objekte, die beide Länder gemeinsam haben, sind Ostereier, russisch-orthodoxe Kreuze und Ikonen. Sie machen mit einer Gesamtzahl von 22 fast die Hälfte der Objekte aus.
P.S. die Inschrift auf der Ikone stammt aus der Bibel, Neues Testament, Johannesevangelium 13,34: Запо | ведь | нову | даю | вам | да лю = Заповедь нову даю вам да лю[бите] = „Ein neues Gebot gebe ich Euch: Liebt [einander]“.
Fotos: Cismar: © Haus der Natur, Fotografin: Tanja Brümmer, Husum; Marne: © Heimatmuseum Marner Skatklub von 1873, Fotografin: Tanja Brümmer, Husum; Schleswig: © Museum für Archäologie Schloss Gottorf; Fotograf: Sönke Ehlert, Kiel; Sylt: © Sylt Museum; Fotograf: Sylt Museum
Literatur
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Inhaltsverzeichnis (zwangsarbeiter-s-h.de)
Grabstätte von russischen Kriegsgefangenen, Albersdorf | Dithmarschen (echt-dithmarschen.de)
Arbeitslager Osterrade und Russengräber, Osterrade | Dithmarschen (echt-dithmarschen.de)
Liste der russischen und sowjetischen Kriegsgräberstätten in Schleswig-Holstein – Wikipedia
Zwangsarbeit – Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte (geschichte-s-h.de)
Zwangsarbeit • Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte (zwangsarbeit-archiv.de)
Konzentrationslager – Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte (geschichte-s-h.de)
Microsoft Word - Dokument1 (frzph.de)
Konzentrationslager – Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte (geschichte-s-h.de)
Displaced Persons – Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte (geschichte-s-h.de)
Materialsammlung | KZ-Gedenkstätte Husum-Schwesing (kz-gedenkstaette-husum-schwesing.de)
Gedenkstätte Ahrensbök (gedenkstaetteahrensboek.de)
Post aus Lodz (kz-gedenkstaette-neuengamme.de)
KZKaltenkirchen (kz-kaltenkirchen.de)
Frameset für "Zwangsarbeit" (zwangsarbeiter-s-h.de)
Inhaltsverzeichnis (zwangsarbeiter-s-h.de)
Die Bezeichnung "Ostarbeiter" (zwangsarbeiter-s-h.de)
Außenlagerliste (kz-gedenkstaette-neuengamme.de)
Verwobene Geschichte(n). Herkunftsorte von Objekten und ihre Beziehungen zu Schleswig-Holstein (6)
Japaner in Schleswig-Holstein
1861 eröffneten das Königreich Preußen und das Kaiserreich Japan offizielle (Handels)beziehungen. Nach der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 kamen die ersten Japaner auch nach Schleswig-Holstein. So hielt sich Fürst Iwakura Tomomi im Rahmen seiner politischen Mission 1873 kurz in Kiel auf. Bereits ab etwa 1886 kamen die ersten Studenten. Sie studierten zumeist Medizin, aber auch Jura, Philosophie, Ingenieurwesen oder Zoologie oder besuchten die Militärakademie. Sie wohnten nördlich der Altstadt in den heutigen Stadtteilen Ravensberg-Brunswik-Düsternbrook in der Baustraße, Schauenburgerstraße, Feldstraße, Kleiststraße, im Lorentzendamm oder Niemannsweg. Unter ihnen war auch ein Mitglied der kaiserlichen Familie. Prinz Fushimi Hiroyasu besuchte von 1892-1895 in Kiel die Marineakademie. Er soll zur Eröffnung des damaligen Kaiser Wilhelm Kanals (heute Nordostseekanal) die Platanenallee in der Kiel-Holtenauer Kanalstraße gestiftet zu haben.
Im Jahr 1900 besuchte der japanische Prinz Kanin Kotohito im Rahmen seiner Europareise als erster offizieller japanischer Gast Kiel. Prinz Heinrich gab ihm zu Ehren ein Festmahl im Schloss. Vermutlich war dies eine Gegeneinladung für seine Teilnahme an einem Gartenfest in Tokyo im Jahr zuvor.
Der erste japanische Angestellte in Schleswig-Holstein war Masaharu Sasaki. Zusammen mit dem Japanreisendem und Sammler, dem Wiener Adolf Fischer, gestaltete er 1908 die erste Japan-Ausstellung in Kiel. Auch sollte er sich um die Errichtung des ersten deutschen Museums für Ostasiatische Kunst kümmern. Fischer hatte den damaligen Kieler Bürgermeister für seine Idee begeistern können. Der Museumsbau war in der Krusenkoppel geplant, realisiert wurde er aber 1913 in Köln.
Der erste deutsch-japanische Spielfilm kam 1937 in die Kinos: „Die Tochter des Samurai“.
Die große Zahl von künstlerischen und wissenschaftlichen Kontakten/Besuchen durch die Jahrzehnte kann hier nur kursorisch wiedergegeben werden. Erinnert sei u.a. an den Maler Masataka Maejima, von dem das ehemalige Kieler Völkerkundemuseum 1970 vier Bilder geschenkt bekam und an den Friesischspezialisten Prof. Makoto Shimizu von der Universität in Hokkaido, der 1989 ein Forschungssemester in Kiel u.a. an der Nordfriesischen Wörterbuchstelle verbrachte.
1994 wurde in Halstenbek die Japanische Schule begründet. Japanische Unternehmen wie Nikon und Sysmex in Norderstedt oder Panasonic in Neumünster (bis 2007) produzier(t)en im Land. Seit 1994 wird an der Kieler Humboldt-Schule Japanischunterricht angeboten, ihrem ehemaligen Direktor wurde 2020 vom japanischen Kaiser sogar der „Orden der Aufgehenden Sonne, Goldene Strahlen mit Rosette“ verliehen.
2005 hatte das Schleswig-Holstein-Festival einen Japanschwerpunkt. Auch gab es wiederholt Flottenbesuche, z.B. anlässlich der Kieler Woche, oder Konzerte japanischer Chöre.
„Japan beginnt an der Ostsee“ – so heißt ein Buch über den in Cismar lebenden Töpfer Jan Kollwitz, der in Japan in traditioneller japanischer Keramikherstellung ausgebildet wurde. Angesichts von 845 Japanern in Schleswig-Holsteins, 75 von ihnen leben 40 Jahre und mehr hier, und angesichts der Mangas und Anime-Filme in den Stadtbüchereien und Buchhandlungen, der zahlreichen Judo- , Karate- und Aikido-, aber auch der Kyudo-Bogenschießvereine, der Möglichkeit, Japanisch an einer der Volkshochschulen zu lernen, den Teezeremonien von Meisterin Michiyo Suzuki-Kubiak, den Kunstwerken des japanische Patissier Shoya Kojima (beide Kiel), dem Zen-Zentrum in Schönböken und der zahlreichen Sushi-Angebote und japanischen Autos darf man sagen: Japan ist quasi überall in Schleswig-Holstein präsent.
Im Text zuvor (Schleswig-Holsteiner in Japan) wurden einige Objekte gezeigt, die Schleswig-Holsteiner aus Japan mitgebracht haben. In diesem Beitrag können wir auch einige Gegenstände zeigen, die Japaner den Museen geschenkt haben.
Was aber haben die Japaner, die im 19. Jahrhundert in Schleswig-Holstein waren, nach Japan mitgebracht? Welche Gegenstände haben sie mit Deutschland / Schleswig-Holstein verbunden, was haben sie zu Hause erzählt oder nach Hause geschrieben? Ob sich einige Gegenstände davon im „großen japanischen Landesmuseum“ befinden, von dem der Japanreisende Willemoes-Suhm 1875 berichtete, das dort neben „japanischen Altertümer[n], Waffen und Werkzeuge[n] aus der Steinzeit […]“ auch „eine große Sammlung auf der Wiener Ausstellung gekaufter Gegenstände in bunter europäischer Mischung: venezianische Fotografien, österreichische Jägerröcke, Apoll von Belvedere, Musikdosen etc“ (Willemoes-Suhm 2015: 250) ausgestellt wurde? Und was bringen heute Japaner aus Schleswig-Holstein oder japanische Touristen nach Japan mit?
Fotos: Schleswig: © Museum für Archäologie Schloss Gottorf, Fotograf: Sönke Ehlert, Kiel
Literatur
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Filigrane Handarbeit: Japanische Zuckerkunst in Kiel | NDR.de - Nachrichten - Schleswig-Holstein (21.2.2022)
Iwakura-Mission in Deutschland – Wikipedia (24.2.2020)
Gemeinde Halstenbek: Japanische Schule (25.2.2022)
Zen-Zentrum Schönböken (zen-vereinigung.de) (25.2.2022)
Teezeremonie – Kulturwerft e.V. (kultur-werft.de) (25.2.2022)
新しき土 Tochter des Samurai - YouTube (28.2.2022)
Die Tochter des Samurai – Wikipedia (28.2.2022)
A I 4 - j 20 SH (statistik-nord.de) (21.2.1022)
Japan — International Center der CAU Kiel (uni-kiel.de) (21.2.2022)
Impressum - Schleswig-Holstein und Japan (schleswig-holstein-und-japan.de) (28.2.2022)
Verwobene Geschichte(n). Herkunftsorte von Objekten und ihre Beziehungen zu Schleswig-Holstein (5)
Schleswig-Holsteiner in Japan
Am 1./2.11.1912 schrieb der Oberzahlmeisters der Marine Otto Schulze aus Berlin an seine Frau: „Erst japanisches Diner, dann Geishatänze. Na, ich werde kaum hingehen, da ich für diese Affenweibchen mit ihren ungraziösen Bewegungen nicht soviel Geld ausgebe. Eher kaufe ich dafür eine kleine Sache und lasse mir erzählen, wie es gewesen ist … .“ Am folgenden Tag setzt er seinen Brief fort: „Heute Nachmittag war ich wieder einkaufen für die Messe und habe den Kauf perfekt gemacht. Im Ganzen habe ich für 400 Yen = 840 Mark Weihnachtsgeschenke gekauft, meist Bronzesachen. Es gibt doch famose Sachen hier … .“
Wie anders liest sich dagegen der 1669 veröffentlichte Text von Jürgen Andersen, der 1646 als erster schriftlich belegter Schleswig-Holsteiner japanischen Boden betrat: „Die Japanern werden von etlichen für das streitbahreste Volck in gantz Orient gehalten / die sich in occasion für Lebens-Gefahr nicht fürchte / und hochhertzig / wollen lieber das Leben verlieren / als Schimpf leiden. Sie haben auch das Lob / daß sie discret und rechtfertig gegen alle Menschen sind / sagen / daß die Natur ihnen ins Hertz gegeben / daß sie mit jedermann aufrichtig handeln sollen / gleich wie sie wollen / daß man mit ihne thun soll. Daher Stehlen / Töten / Ehebrechen / fälschlich angeben bei ihnen für das gröste Laster und Ubel gehalten wird; Im Handel und Wandel sollen sie mit Wissen und Willen niemand vervortheilen / wann etwa unversehens sie einem unrecht gethan / und werdens hernach inne / bekennen sie es / und gebens wieder zurücke.“
Zu der Zeit von Andersens Aufenthalt hatte sich Japan bereits seit etwa sieben Jahren von der westlichen Außenwelt und ihren Errungenschaften abgeschottet und gestattete ausschließlich den Niederländern Zugang. Dies musste auf der künstlich vor Nagasaki errichteten und streng bewachten Insel Deshima geschehen. Seinen Angaben nach handelte die Niederländische Ostindien Kompagnie neben (Edel-)Metallen, Kampfer, Seide, Baumwolle, Reis und Weizen auch „schöne Arbeit von Lackwerke als Laden / Schreibe-Cantoren / Kisten und allerhand Geschirre. Ich habe gesehen / daß hier für ein / aber sehr köstlich geziertes Schreibe-Cantor 14 hundert Holländische Gülden gegeben worden.“ Auch Waffen begeisterten die Niederländer. Andersen berichtet: „Ich habe aber einen sehr köstlich gezierten Säbel gesehen, den die Compagnie um 300 Rthl. Contant Geld bezahlet.“
Auch der Sylter Kapitän Sievert Levsen arbeitete für die Niederländische Ostindien Kompagnie. 1821 betrat er zum zweiten Mal japanischen Boden: „1821 in der Mitte des Juni Monats, wurde unter gleichen Umständen wie im vorigen 1820sten Jahre die Reise angetreten, nur dies verdient besonders angemerkt zu werden, daß das Holl. Gouvernement uns zwey Kamele mitgab, welche dem Kayser zu Japan als Geschenke dargebracht werden sollten. Diese sind denn auch bei unsrer Ankunft gegen das Ende des Juli Monats richtig abgeliefert, und weiter nach der Residenz oder Hauptstadt Yedde, woselbst der weltliche Kayser oder Kubo residirt, befördert worden“ (Levsen 1824:507).
Der Glückstädter Rudolf von Willemoes-Suhm, besuchte im Jahre 1875 Yokohama, Tokyo, Osaka und Kobe. Zu dieser Zeit war die Öffnung Japans von den US-Amerikaners bereits erzwungen worden. Er war der einzige deutsche Teilnehmer der englischen Challenger-Expedition zur Erkundung der Meerestiefen. Aus Osaka schrieb er am 7. Mai seiner Mutter: „Von hier [Kobe] fuhr ich zu dem nur eine Stunde per Eisenbahn entfernten Osaka, um Götzenbilder und alte Bücher zu kaufen, die dort am besten zu haben sind“, wo er einige hölzerne Statuen des Buddha, fein geschnitzt, in sitzender Stellung, ein bis anderthalb Fuß hoch gekauft.“ Etwas später beschreibt er die Straßenzüge: „Es ist ganz eigentümlich, durch die Straßen zu gehen, die wie ein einziger ungeheurer Antiquitätenladen aussehen, und welche Mengen von schönen Dingen müssen hier im Land gewesen sein, wenn trotz des großen Exports nach Paris und New York das Angebot noch immer nicht nachlässt.“ Die japanischen Händler waren sich augenscheinlich des Wertes der angebotenen Objekte bewusst, denn der Preis einiger „herrliche Gemälderollen“ war dem jungen Wissenschaftler „zu hoch“.
Weitere berühmte Japanreisende aus Schleswig-Holstein waren Prinz Heinrich von Preußen und Emil Nolde. Der Bruder des letzten deutschen Kaisers, der bis 1918 im Kieler Schloss wohnte, reiste insgesamt dreimal nach Japan. Das erste Mal betrat er im Alter von 17 Jahren im Rahmen seiner Marineausbildung japanischen Boden. Er blieb fast ein Jahr, reiste zumeist standesgemäß durch das Land und erhielt mehrere Audienzen beim japanischen Kaiser. Im Alter von 32 und von 50 Jahren besuchte er erneut das Land, zuletzt 1912 zu den Trauerfeierlichkeiten des damaligen japanischen Kaisers. Prinz Heinrich erhielt auf allen seinen Reisen wertvolle Gastgeschenke und kaufte vermutlich auch selbst einige Gegenstände. Teile seiner Japansammlung sind im Museum Schloss Gottorf ausgestellt. Da die Vorliebe des Prinzen für japanische Rüstungen und Waffen sowie für alles maritime bekannt war, gehörte zu den diplomatischen Geschenken auch eine herausragende Daimyo-Rüstung mit dem Wappen der Tokugawa-Familie. Weitere Objekte hat er vermutlich selbst als Andenken erworben.
Der Maler Emil Nolde und seine Frau Ada betraten Japan im November 1913. Es war ein Abstecher auf ihrem Weg in die Südsee, der sicherlich auf dem Interesse des Malers an dem Land basierte, hatte er sich doch bereits Jahre zuvor gedanklich und künstlerisch mit japanischer Kunst auseinandergesetzt. So schrieb er 1906 an seine Frau: „Das, was ich gern wollte, ist ein eingehendes Studium der japanischen Kunst in seinen Farben [sic!]“ (Emil Nolde an Ada Nolde, 11.02.1906, zitiert nach Knippschild 2020: 183, dort zitiert nach einer Übersetzung aus dem Dänischen, aus dem Archiv der Nolde Stiftung Seebüll). Auch befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits Gegenstände aus Japan in seinem Besitz. In den zwei Wochen ihres Aufenthaltes folgte die kleine Reisegruppe etablierten touristischen Pfaden. Man besuchte unter anderem die Städte Tokio, Kobe, Nikko und Kyoto, sowie den Horyu-ji Tempel in Ikaruga und die Schwefelfelder und heißen Quellen Owakudanis in Hakone. Die kleine Reisegruppe reiste anschließend weiter nach China und kurz vor der Weiterfahrt in Richtung der Philippinen wurden „[…] unsere kleinen, mit viel Liebe und wenig Mittel erworbenen Einkäufe […] nach Hause“ geschickt (Nolde 1965: 52).
Neben den oben genannten Reisenden, gab es auch die Schleswig-Holsteiner, die sich ab 1861 länger im Land aufhielten, um als Kaufmann, Dolmetscher in diplomatischem Diensten, Generalkonsul, Kapitän japanischer Postdampfer, Hotelbesitzer, Missionar, für die Kriegsmarine oder an Universitäten zu arbeiten. Manche heiraten in Japan und sind dort begraben.
Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges gerieten die 4.700 Soldaten, die im damaligen deutschen Schutzgebiet in China, Tsingtau (Qingdao), stationiert waren, in japanische Kriegsgefangenschaft. Unter diesen befanden sich 220 Schleswig-Holsteiner. Einige haben in Japan bleibende Sputen hinterlassen. Der Glücksburger Militärmusiker Hermann Richard Hansen führte als Dirigent mit seinem Orchester 1918 im Lager in Naruto zum ersten Mal in Japan Beethovens „Ode an die Freude“ auf und setzte damit den Grundstein für Japans Beethovenbegeisterung. Dieses Ereignis wurde 2006 in einem Spielfilm festgehalten (Baruto no gakuen - Ode an die Freude Trailer - YouTube), der in Japan ein Kassenschlager war. Helmuth Friedrich Carl Ketel aus Wedel verblieb nach dem Ende der Kriegsgefangenschaft in Japan, heiratete eine Japanerin und gründete eine Bar und ein Restaurant in Tokyo, das bis zur Schließung im Jahre 2004 im Familienbetrieb geführt wurde.
1920/21 machten viele der nach Deutschland zurückkehrenden Kriegsgefangenen auf ihrem Rückweg Station im chinesischen Qingdao und kauften z.B. beim dem dort ansässigen japanischen Ladenbesitzer T. Takahashi „Andenken aus China“ – nicht wenige davon waren, ohne dass sie es wussten, „made in Japan“.
Lackwaren, Porzellan, religiöse Figuren, Seidenmalereien und Bronzen machen heute einen großen Teil der etwa 450 Japangegenstände der beteiligten Museen aus. Dazu kommen Fächer, Samurairüstungen, Waffen, Holzschuhe und Socken, Tabakpfeifen, Bekleidungszubehör und Theatermasken. Mit Ausnahme der Gastgeschenke, die Prinz Heinrich erhalten hat, wurden sie vermutlich in speziellen Geschäften erstanden. Hierbei handelt es sich einerseits um die oben beschriebenen Antiquitäten- bzw. Curio-Geschäfte. Ein frühes Foto des in Yokohama lebenden Fotografen Felice Beato (1832-1909) aus dem Jahr 1868 zeigt das Angebot eines solches Geschäftes (Japan: a curio shop selling traditional Japanese products like lacquer-ware, carved ivory and bamboo work; interior. Coloured photograph by Felice Beato, ca. 1868. | Wellcome Collection). Neben Antiquitäten haben sie auch Gegenstände im Programm gehabt, die ausschließlich für den Verkauf an die Ausländer bestimmt waren. Obwohl für die „Gaijin“ bzw. „gaikokujin“ bestimmt, wie die Japaner die Fremden/Ausländer nennen, waren sie teilweise von sehr guter handwerklicher Qualität.
In frühen Reiseführern werden den Reisenden außerdem noch Spezialgeschäfte empfohlen, die Bronze, Cloisonné, Silber, Bücher, Papierwaren und Fächer, Perlen, Seidenwaren und Stickereien, Lackwaren, Porzellan und Kunst führten. In der Wörterliste für die Touristen waren unter dem Begriff „Shopping“ die japanischen Begriffe für Rüstung, Helm, Pfeile, Masken, Gemälde usw. aufgeführt. Bei besonders beliebten Mitbringseln wie Waffen, Rüstungen oder Rüstungsteilen profitierten die Käufer im Grunde aber von den gesellschaftlichen Umbrüchen des Landes, bei denen die Samurai ihre Funktion verloren hatten, verarmten und in ihrem Besitz befindliche Objekte verkaufen mussten. Wie alte Fotos von Curio-Geschäften zeigen, geschah dies möglicherweise erst ab den 1880er Jahren.
Die heute in den Museen erhaltenen Gegenstände ermöglichen folglich nur bedingt Einblick in das traditionelle Leben im Japan des 19. Jahrhunderts. Eher geben sie Auskunft darüber, was ein Reisender damals für kaufwürdig ansah. Sie geben ebenso Auskunft über das jeweilige Angebot.
Fotos: Neumünster: ©Museum Tuch + Technik, Fotograf: Sönke Ehlert, Kiel; Husum: ©Nordfrieslandmuseum Nissenhaus Husum, Fotografen: Thomas Lorenzen, Husum, Tanja Brümmer, Husum; Schleswig: Museum für Archäologie Schloss Gottorf, Fotografen: Sönke Ehlert, Kiel, Arbeitsfoto Kalka; Seebüll: © Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, Fotograf: Dirk Dunkelberg, Berlin; Keitum (Sylt): © Sylt Museum, Fotograf: Abeitsfoto Kalka.
Zum Weiterlesen
Pantzner, Peter, Sven Saaler und Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens
2007 Japanische Impressionen eines kaiserlichen Gesandten: Karl von Eisendecher im
Japan der Meiji-Zeit. München; Tôkyô: Iudicium. ISBN 9783891299302
Literatur
Janocha, Peter
2006 Spurensuche: Schleswig-Holstein und Japan von den Anfängen bis zur Gegenwart. Neumünster.
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Levsen, Sievert
1824 Einige Nachrichten von einer vierjährigen, mit dem Schiffe Fortitudo unter Commando des Schiffscapitains Sievert Levsen von Wyck auf der Insel Föhr gemachten Ostindischen und Japanischen Reise, insonderheit in Beziehung auf Japan. In: Staatsbürgerliches Magazin mit besonderer Rücksicht auf die Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Band 4, Heft 3/4. Schleswig. S. 493-508. Abgerufen unter: Staatsbürgerliches Magazin mit besonderer Rücksicht auf die Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg (Vierter Band) - UB Kiel digital (uni-kiel.de) (24.2.2022)
Nolde, Emil
1965 Welt und Heimat. Die Südseereise 1913-1918 geschrieben 1936. Köln.
Olearius, Adam (Hg.)
1696 Orientalische Reise-Beschreibung Jürgen Andersen aus Schleßwig, der Anno Christi 1644 außgezogen, und 1650 wieder kommen und Volguard Iversen aus Hollstein, so anno 1655 außgezogen, und 1668 wieder angelangetOrientalische Reise-Beschreibung Jürgen Andersen aus Schleßwig Der Anno Christi.pdf (27.2.2022)
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2015 Briefe aus Fernost 1908-1913. Teil 2. Oberzahlmeister Otto Schulze schreibt aus Tsingtau. In Kooperation mit dem Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv – unter Mitwirkung des Bernd Liebig – redigert und herausgegeben von Jürgen Ruszkowski. Hamburg.
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Ode an die Freude (Film) – Wikipedia (23.2.2022)
Baruto no gakuen - Ode an die Freude Trailer - YouTube (23.2.2022)
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Der Blaue Reiter und der Japonismus (uni-muenchen.de) (23.2.2022)
Der Kieler Ehrenbürger Prinz Heinrich von Preußen (24.2.2022)
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Tourismus-Boom: Die Schweizer und Deutschen in Japan | Asienspiegel (24.2.2022)
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Curio Shop, Japan (Photos Prints, Framed, Posters, Puzzles, Cards, Gifts,...) #14144217 (prints-online.com) (28.2.2022)
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Verwobene Geschichte(n). Herkunftsorte von Objekten und ihre Beziehungen zu Schleswig-Holstein (4)
Gestorben in Afrika, bearbeitet in Asien, angebetet in Europa und Amerika
Im Nordfrieslandmuseum Nissenhaus Husum wird ein Objekt aufbewahrt, das drei oder sogar vier Kontinente in sich vereinigt. Es gehört zu der ethnographischen Sammlung, die der Husumer Museumsgründer, Ludwig Nissen, 1922 für sein Museum angekauft hatte und stammt von einem Sammler, von dem bislang nur sein Nachname bekannt ist: „von Hagen“.
Bei dem Objekt handelt es sich um einen beschnitzten Sockel, den ursprünglich eine Figur des Jesusknaben als „Guter Hirte“ zierte. Dieser wird üblicherweise auf einer Erhöhung sitzend dargestellt, die Beine sind übereinander geschlagenen. Die erhobene rechte Hand berührt den leicht geneigten Kopf. Der nur 10 cm hohe Sockel ist als eine Art Stufenpyramide aus drei Ebenen gestaltet. In der untersten Ebene ist Maria Magdalena in einer Höhle zu sehen. Sie liegt auf ihrer rechten Seite, den Kopf in die rechte Hand gestützt, die linke Hand liegt vor ihr auf einem aufgeschlagenen Buch. Auf der Rückseite sind liegende Tiger zu sehen. Auf der zweiten Ebene tummeln sich Schafe. Darüber ist ein Brunnen mit der Quelle des (ewigen) Lebens zu sehen, in die zwei Vögel (Pelikane?) ihre langen Schnäbel stecken. In seitlichen Löchern waren ursprünglich federartige Elemente eingesteckt, die den Baum des Lebens symbolisierten und jetzt ebenfalls fehlen. Der Sockel und auch die fehlende Figur ist/war aus Elfenbein gearbeitet und stammt aus dem 17. Jahrhundert. Bekannt ist, dass Figur und Sockel eine komprimierte symbolische Darstellung von drei „Gärten der Hirten“ sind: der himmlische Garten, der Garten Eden und die katholische Kirche mit Jesus als Hirte des dritten Gartens. Diese Vorstellung wurde erstmals 1658 im Buch des Jesuiten Miguel del Almeida formuliert, der das Buch in lateinischer Schrift und in der indischen Konkani-Sprache geschrieben hat. Es wurde in Goa, an der indischen Westküste, gedruckt und dürfte für etwa 30 Jahre zirkuliert haben.
Dort in Goa wurde die Figur auch geschnitzt. Diese ca. 20 km landeinwärts am Fluss Mandovi gelegene Hafenstadt wurde im 15. Jahrhundert gegründet und war zweite Hauptstadt der muslimischen Adil Shah-Dynastie. 1510 wurde sie von den Portugiesen erobert, die es zu ihrem administrativen Zentrum machten. Mit den Portugiesen kamen die katholischen Orden, die die lokale Bevölkerung missionierten: Franziskaner 1510, Jesuiten 1542, Dominikaner 1548, Augustiner 1572, Karmeliter 1609, etc.. Bald hatte die Stadt mehr Kirchen als das damalige Rom und galt als „Hauptstadt des Christentums in Asien“ oder „Rom des Ostens“. Das Zusammenleben mit den Europäern gestaltete sich für die Bevölkerung von Goa nicht einfach: 1540 wurden auf Anordnung des portugiesischen Königs erstmals „heidnische“ Tempel zerstört, 1546 verbot er, dass Hindus christliche Bildwerke schnitzten, 1561 setzte die Inquisition ein, die sich gegen Muslime, sephardische Juden und Hindus wandte. In ihrem Zuge wurde u.a. nicht nur verboten, hinduistische Götterbilder zu besitzen. Ende Juni 1684, also 26 Jahre nach Erscheinen oben genannten Buches, wurde auch das Sprechen der Konkani-Sprache verboten.
Erst seit ein paar Jahren beschäftigt sich die Forschung intensiver mit den Elfenbeinfiguren aus Goa. Weltweit suchte man nach ihnen und konnte durch den Vergleich untereinander mehrere gemeinsame Aspekte feststellen:
1) Die Figuren weisen eine große Einheitlichkeit in der Gestaltung auf, die auf eine fast serielle Herstellung in spezialisierten Werkstätten schließen lässt. Es wird davon ausgegangen, dass hier indische Schnitzer unter portugiesischer Aufsicht arbeiteten. Dies machte die Figuren erschwinglich für die europäische Mittelklasse
2) Die Gesamtkomposition hat keine Entsprechung in der europäischen Kunst. Allerdings lassen sich zentrale Elemente (Guter Hirte, Maria Magdalen, etc.) auf europäische Vorstellungen und Vorbilder zurückführen. Auch das Sockelmotiv des (mehrstufigen) Berges kann christlich gedeutet werden, wahlweise als Darstellung eines real existierenden Berges in Indien, der eng mit dem Indienapostel Thomas verbunden sein soll, als Kalvarienberg oder Berg Sinai. Auch das Material an sich, Elfenbein, lässt christliche Konnotationen, wie „Reinheit“, zu.
3) Zusätzlich zu einer christlichen Interpretation gibt es aber auch eine hinduistische Interpretation. Die Figur lässt gleich zwei hinduistische Assoziationen zu: Dargestellt sein kann der Gott Shiva in seiner Erscheinungsform als jugendlicher (Kuh)Hirte oder in seiner Erscheinungsform als anmutiger, gütiger jugendlicher Lehrer Daksinamurti, der seinen Anhängern hilft, ihr höchstes Ziel zu erlangen. Traditionell sitzt Daksinamurti unter dem Baum der Weisheit auf dem heiligen Berg Kailash, der von friedlich miteinander lebenden Tieren (Raubtieren und ihren Beutetieren) bevölkert wird. Er hilft den Gläubigen bei der Selbsterkenntnis und bei dem Weg zur Herauslösung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten. Da der asketische Daksinamurti traditionell oft auch reinweiß dargestellt ist, braucht das Elfenbein nicht, wie sonst in der indischen Kuns, bemalt zu werden.
4) Wie der Kunstgeschichtler und Historiker Saviello feststellte, gibt es das Motiv des unter einem Baum sitzenden Mannes, der von friedlich miteinander auskommenden Tieren umgeben ist, auch in persischen und mogulischen Buchmalereien. Sie zeigen einen sich in Liebe verzehrenden Mann namens Majnun. Er wurde zum positiven Sinnbild eines mit übernatürlichen Kräften ausgestatteten Gottessuchers und mehrere indische Mogulherrscher ließen sich in ähnlicher Weise porträtieren.
Ob jetzt findige Jesuiten eine hinduistischen Bildsprache für Begriffe der christliche Lehre gefunden haben, oder aber, ob die hinduistisch aufgewachsenen und neu zum Christentum bekehrten Schnitzer eine subversive Form gefunden haben, eine hinduistische Gottheit oder vielleicht einen muslimischen Heiligen unter einer christlichen Oberfläche darzustellen, sei dahingestellt. Fest steht, dass diese Figuren, die im Übrigen von den Missionaren für die religiöse Unterweisung von Indigenen benutzt wurden, auch im christlichen Kontext nicht eindeutig waren. Zeitgenossen interpretierten sie höchst unterschiedlich z.B. als Jesusknabe oder Johannes der Täufer als Kind. Sie sind, so einer ihrer Erforscher, weder „Repräsentationen kolonialer Macht noch […] Zeichen indigener Resistenz“, sondern Ausdruck transkultureller Aushandlungen und Wandlungen (Saviello 2013: 65). Und gerade diese Mehrdeutigkeit und Bedeutungsoffenheit macht den Reiz des Objektes aus.
Auch das Elfenbein, aus dem der Sockel geschnitzt wurde, erzählt eine interessante Geschichte. Es stammt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus Afrika. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts begaben sich die Portugiesen mit ihren Schiffen auf den Weg um die Westküste von Afrika. Auf der Suche nach Gold (Afrika) und Gewürzen (Indien) wollten sie erstens den Saharahandel umgehen, auf dem in Süd-Nord-Richtung Gold gehandelt wurde und zweitens den Seeweg nach Indien finden. Schnell wurde Elfenbein neben Gold und Pfeffer zu einem begehrten Handelsobjekt. Die Portugiesen begannen sukzessive mit den afrikanischen Gesellschaften an der Küste Handel zu treiben. Im Westen Afrikas trafen sie auf afrikanische Partner und deren Handelsnetzwerke, die ebenfalls einen neuen Markt wahrnahmen, wenn er sich ihnen bot. Sie trafen z.T. auf große und komplexe Städte vergleichbar zu denen in Europa und auf Gesellschaften mit königlichen Dynastien, entsprechenden Hofstaaten, Zeremonien und Künstlergilden. Im Osten Afrikas stießen sie auf arabische Händler, die sie aus dem Handel mit dem westlichen Indien verdrängten. Der sukzessiven Ausdehnung der portugiesischen Überseeherrschaft entsprechend, stammte das in Indien ankommende Elfenbein zunächst von westafrikanischen Waldelefanten aus den heutigen Gebieten Senegal, Gambia und dem Golf von Guinea, später wurde es vornehmlich aus Mosambik exportiert. Die Zahl der getöteten Elefanten bzw. ihrer nach Indien geschifften Stoßzähne variiert in den Quellen. Ende des 16. und im 17. Jahrhundert sollen etwa 3.000 Stoßzähne jährlich nach Indien gekommen sein. Andere Autoren sprechen von 22.000 Stück.
Die in Goa geschnitzten Elfenbeinfiguren wurden aber nicht nur nach Portugal exportiert, wo sie in Privathäusern der religiösen Erbauung dienten. Sie gelangten auch in die anderen portugiesischen Kolonien, so unter anderem auch nach Brasilien. Es ist unklar, wo genau der Sammler die Figur erstanden hat. Da aber auch Objekte aus Brasilien in seiner Sammlung sind, besteht durchaus die Möglichkeit, dass er sie in Brasilien erstanden haben könnte. Welchen Bedeutungswandel die Figur möglicherweise dort erfahren hat, wäre ein interessantes neues Forschungsfeld.
Goa – Schleswig-Holstein
Goa: 1) Indischer Bundesstaat, in der Sprache der dortigen Bewohner Gomya genannt; 3.702 qkm, etwa 1,5 Millionen Einwohner, Durchschnittstemperatur 27,4°C (SH: 2017: 8,3°C), ca. 90 Regentage im Jahr (SH: 139 Tage), Gesamtsumme Sonnenscheinstunden 2835 (SH 2017: 1567).
Die 1993 im Bundesstaat gefundenen Petroglyphen, die etwa vor 22.000-32.000 Jahren entstanden, gelten als frühester Nachweis menschlicher Bewohner. Seit Beginn unserer Zeitrechnung herrschten verschiedene Dynastien unterschiedlichster Religionszugehörigkeit in dem Gebiet. Seit dem 10. Jahrhundert unterhielt der Hafen der damaligen Handelsstadt Gopakpattana Beziehungen u.a. zu Sansibar (Afrika) und Sri Lanka. Ab 1510 wurde das Gebiet nach und nach von den Portugiesen erobert, die ihren Besitz im Laufe der Zeit immer wieder militärisch festigen mussten, bis es 1961 von indischen Truppen rückerobert wurde (zur Erinnerung: Indien hatte 1947 seine Unabhängigkeit von den Briten erlangt). Der hohe Anteil an Christen in Goa (etwa 25% der Bevölkerung) ist heute ein Politikum, sie gelten als “Klone der Kolonialherren“.
2) Goa-Stadt: auf Konkani: Pornnem Goem, Adlem Gõi, Goeam, „Goa Velha“. Die Stadt war den Arabern unter den Namen „Sindabur / Sandabur“ bekannt. Ab 1510 wurde sie Residenzstadt des Vizekönigs bis diese nach mehreren Epidemien verlegt wurde und die Stadt seitdem an Bedeutung verlor. 1986 wurden die Kirchen und Klöster in die Liste der Welterbestätten aufgenommen. Der Schleswig-Holsteiner Jürgen Andresen, der im Dienste der Niederländischen Ostindien Kompagnie stand, gelangte 1644 nach Goa. In seiner von Adam Olearius herausgegebenen Reisebeschreibung schildert er die Stadt als „bewohnet von allerhand Nationen, als von Portugiesen, Moren, Malabaren, Armeniern, Benjanen, Bramanen, Rasbuten, Decanarien, Juden, Arabern und Chinesen, so alle meist Kauff-Leute sind und durch ganz Indien handeln“ und beobachtete den Besuch des Bischofs von Mozambik in der Stadt.
Sucht man heute im Internet nach den Stichwörtern „Goa“ und „Schleswig-Holstein“, stößt man auf Erläuterungen der Kriminalpolizei zur sogenannten „Goa-Szene“, die Festivals feiert und Drogen konsumiert. Erweitert man die Suche und ersetzt Goa durch Indien, so findet man zwei schleswig-holsteinische Zweigstellen der Deutsch-Indischen Gesellschaft (Kiel, Lübeck) und liest, dass Lübecker Marzipan zunehmend in Indien geschätzt wird. Vom Indian Business Forum e.V. Hamburg erfährt man, dass mindestens 2 große indische Firmen in Schleswig-Holstein ansässig sind, und dass Deutschland Indiens größter Handelspartner in der EU ist. Selbstverständlich kann man auch nach indischen Restaurants suchen.
Ende Dezember 2020 lebten 1.940 Inder in Schleswig-Holstein, die meisten davon im Kreis Pinneberg und in Kiel.
Fotos: Husum: © Nordfrieslandmuseum Nissenhaus, Fotograf: Thomas Lorenzen, Husum.
Literatur:
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Sonnenstunden im Sommer 2021 nach Bundesländern | Statista (16.2.2022)
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History of Goa - Wikipedia (17.2.2022)
Verwobene Geschichte(n). Herkunftsorte von Objekten und ihre Beziehungen zu Schleswig-Holstein (3)
Bumerangs und Biennale
Kennen Sie Hahndorf? Hahndorf in Australien, benannt nach dem Sylter Kapitän Dirk Meinerts Hahn?
50 Jahre nach den ersten britischen Sträflingsschiffen brachte Hahn (1804-1860) im Jahre 1838/39 187 deutsche Auswanderer auf seinem Schiff, der „Zebra“, nach Australien und half ihnen, Land zu erwerben um einen Ort zu gründen. Ihm zu Ehren wurde die in der Nähe von Adelaide liegende Siedlung Hahndorf genannt. Sie besteht bis heute und hat etwa 2.200 Einwohner.
Hahn war nicht der erste Schleswig-Holsteiner auf australischem Boden. Bereits ein Jahr vorher waren auf der „Bengalee“ neun Auswanderer aus „Holstein“ an Bord. 1857 transportierte die „Peter Godeffroy“ 29 Schleswig-Holsteiner, allein neun davon stammten aus Kellinghusen. Heute haben etwa 3,8% aller Australier deutsche Wurzeln, die meisten davon leben im Osten und Süden der Insel. Nicht alle sind Nachfahren der Auswanderer des 19. Jahrhundert. Viele kamen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die Briten und andere Auswanderer aus Europa stießen auf einen bewohnten Kontinent. Dennoch galt das Land den Briten als „Terrra nullius“, als Niemandsland. Dabei war der Kontinent seit etwa 60.000 Jahren von modernen Menschen (Homo sapiens) besiedelt – nach Britannien gelangte er übrigens erst vor 41.000 – 44.000 Jahren.
Lange vor der Landnahme durch die Briten im 18. Jh. unterhielten die Makassaren von der Insel Sulawesi Handelsbeziehungen zu Australien. Etwa 1000 von ihnen segelten jährlich die 2000km, um im Norden des Kontinents etwa ein halbes Jahr lang Seegurken zu sammeln, die sie nach ihrer Rückkehr nach China verkauften, wo sie als Delikatesse geschätzt wurden. Um 1754 bestand ein reger Interkontinentalhandel mit den dortigen Aborigines (u.a. den Yolngu), der nach der Saison 1906 /1907 eingestellt wurde. Die Handelsbeziehungen hinterließen Spuren in den Sprachen, Riten und Mythen der beteiligten Aborigines. Einige von ihnen fuhren mit nach Makassar: 1867 lebten 17 Aborigines dort (Clark und May 2013: 2, Flood 2006: 7-9, Langton, Sloggett 2014:6, McKnight 2013: 21).
Die britischen Methoden, Kontakt zu den Indigenen zu knüpfen, waren dagegen, gelinde gesagt, rabiat. Man nahm kurzer Hand einige Aborigines gefangen und brachte sie zum Governeur, der hoffte, von ihnen die Sprache zu lernen, „um eine Kolonie in friedlicher Koexistenz mit den Einheimischen aufzubauen“ (Arabanoo – Wikipedia; Bennelong – Wikipedia). Die Methode des Kidnappings war nicht neu, sie wurde von den Niederländern bereits 1623 im Norden des Kontinents gehandhabt. Was folgte, war eine lange Reihe von Grenzkriegen, Menschenjagden, Massakern, Vertreibungen, Vergewaltigungen, Inhaftierungen, institutionellem Kinderraub z.T. bis in die 1970er Jahre (The Stolen Generation | Australians Together, Morgan 2018). In dessen Folge wurde die indigene Bevölkerung z.B. in Südostaustralien von 250.000 (1788) auf 10.000 oder 15.000 (1850) reduziert (Harris 2003: 81). Einige Wissenschaftler schätzen, dass die Aborigines Bevölkerung Australiens insgesamt um 96% dezimiert wurde (ebd.: 81).
Einer eben erwähnten ersten Gefangenen der Engländer, Wollarawarre Bennelong, fuhr 1792 zusammen mit seinem Freund, Yemmarrawanne, als erster Aborigines nach England und wurden König Georg III. vorgestellt. Yemmarrawanne starb 1794 im Alter von 19 Jahren in Kent, sein Grab zierte ein Bumerang. Bennelong kehrte 1795 nach Australien zurück.
In den Museen, die an unserem Projekt teilnahmen, werden derzeit 62 Objekte aus Australien aufbewahrt. Interessanterweise dominieren hier die Waffen: (Fisch)Speere, Speerschleudern, (Wurf)Keulen, Bumerangs, Schilde. Sie kamen von unterschiedlichen Sammlern und einem Händler zwischen 1916 und 2012 in die Museen. Viele, wenn nicht sogar alle diese Objekte wurden von den Aborigines eigens in großer Anzahl für den Verkauf produziert (vgl.: Harrison 2011: 76,77; Hinkson 2001: 122). Der Archäologe Rodney Harrison konnte nachweisen, welche zentrale Rolle dabei das Geschäft Tost & Rohu spielte, das von 1878 bis in die 1930er Jahre in Sidney ausgestopfte Tiere und Ethnographica verkaufte. Das Unternehmen gab auch kleine Verkaufskataloge heraus (Tost and Rohu (Sydney), Australian aboriginal curios (for sale) (8p.) (nla.gov.au)). Die in unterschiedlichen Teilen des Kontinents gelegenen Missionsstationen waren dabei sicherlich Zulieferer. Harrison stellte fest, dass häufig angebotene Objekte wie Bumerangs sehr preiswert waren. Hier stellt sich die Frage, inwieweit „Massenware“ unser Bild von den Indigenen geprägt hat.?
Der bereits im Beitrag zu Sri Lanka erwähnte Maschinistenmaat Johannes Schumacher beschrieb 1908 seinen Landgang in Brisbane. Auch hier galt einer seiner ersten Wege dem Museum: „Das Queensland-Museum, die sog. Exhibition, ist sehr reichhaltig. Besonders zu erwähnen sind Waffen der Eingeborenen, wie Streitäxte, Speere, Bogen, Pfeile, ferner Bumerangs, ein gebogenes Stück Holzscheit, das von Eingeborenen geworfen, vom Ziel zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Es ist eine sehr gefährliche Waffe“ (Schumacher 2005: 41). Ob er möglicherweise hier oder in Sidney, wo das Schiff neun Tage später anlegte, einen Bumerang gekauft hat, bleibt Spekulation.
Auch heute noch sind Bumerangs beliebte Australienandenken. Aber welches Bild vermitteln sie von seinen Herstellern? Zeigen sie deren komplexe und reiche nichtmaterielle Kultur? Oder reduzieren sie sie auf „Steinzeitmenschen“? Im 1953 erschienenen Sanella-Sammelalbum geht der Autor sogar noch einen Schritt weiter und stellt sie gleichsam auf die Stufe von wilden Tieren. Auf einer Fahrt des jugendlichen Protagonisten durch Australien stehen plötzlich drei Aborigines an der Straße. „Ganz ruhig sein“, sagte Onkel John leise. „Keine hastigen Bewegungen, sonst laufen sie fort“ (Lüneburg [1953]: 18).
Ganz anders verhält es sich mit der modernen „Aboriginal Art“, die seit den 1970er Jahren vermarktet wird und ebenfalls Eingang in die Museen gefunden hat. Sie bedient den komplexen spirituellen Aspekt der Aborigines, der unter dem Begriff der „Traumzeit“ bekannt geworden ist. Politische Aborigine-Künstler wie Richard Belle entdecken darin das Vorurteil des „Edlen Wilden“ und die darin versteckte Vorstellung von rassistischen, hierarchischen Verhältnissen. Belle protestiert dagegen, dass die Kunstzentren, die diese Kunst vermarkten, von Weißen geleitet werden und mit ihrem Kunstbegriff auf die Aboriginal Art schauen. Er wehrt sich auch dagegen, dass man die einzelnen Künstler:innen oftmals nicht beim Namen nennt - Ausnahmen zeigen die Objekte aus der Sammlung des Museums Tuch + Technik in Neumünster und das Museum für Archäologie Schloss Gottorf in Schleswig. Belle selbst setzt mit seinem auf verschiedenen Biennalen gezeigten Aboriginal „Embassy“-Projekt ab 2013 deutliche Zeichen gegen anhaltende und unterdrückende koloniale Machtstrukturen und will mit der Umdrehung von „Herr und Diener“-Bildern (im Hintergrund wartende weiße Diener um Aborigines in Liegestühlen) die „weißen Invasoren, die auf gestohlenem Land leben“ erschüttern / aus der Fassung bringen (Embassy | Richard Bell Art).
P.S. Das erwähnte und weitere Sanella-Alben werden im Dorf- und Schulmuseum Schönwalde aufbewahrt und vom 15. Mai bis 30. September 2022 in der Sonderausstellung „Große Welt in kleinen Bildern“ zu sehen sein.
Übrigens: 300 Australier lebten 2020 in Schleswig-Holstein.
Fotos: Schleswig: © Museum für Archäologie Schloss Gottorf, Fotograf: Sönke Ehlert, Kiel; Neumünster: © Museum Tuch + Technik, Fotograf: Sönke Ehlert, Kiel; Schönwalde: © Dorf- und Schulmuseum Schönwalde; Fotograf: Sönke Ehlert, Kiel
Zum Weiterhören / Weiterlesen:
1) Stories | Australians Together
2) Morgan, Sally
2018 Ich hörte den Vogel rufen. Zürich.
2019 Wanamurraganya – die Geschichte von Jack McPhee. Zürich
Literatur:
Behrendt, Larissa
2012 Indigeneous Australia for Dummies. Milton.
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2006 The Original Australians. Story of the Aboriginal People. Crows Nest.
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Hinkson, Melinda
2001 Aboriginal Sydney: A Guide to Important Places of the Past and Present, Aboriginal Studies Press, Canberra.
Langton, Marcia und Robyn Sloggett
2014 Trepang: China and the story of Macassan-Aboriginal Trade – Examining historical accounts as research tools for cultural materials conservation. In: AICCM Bulletin 35(1):4-13; abgerufen unter DOI:10.1179/bac.2014.35.1.001.
Lüneburg, Heinz
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Onlinequellen:
Captain D. M. Hahn | Monument Australia(30.1.2022)
Kapitän Dirk Meinerts Hahn - einer der berühmtesten Syltern (bals-sylt.de) (30.1.2022)
Kapitän Hahn beschreibt seine Reise nach Australien mit einer Auswanderer-Fracht (archive.org) (30.1.2022)
Captain D. M. Hahn | Monument Australia(30.1.2022)
Passenger List - Peter Goddefroy / Peter Godeffroy, Hamburg to Adelaide, 1857 (theshipslist.com) (30.1.2022)
Passenger List - Zebra, Hamburg to Adelaide, 1839 (theshipslist.com) (30.1.2022)
Passenger List - Bengalee, Hamburg to Adelaide, 1838 (theshipslist.com) (30.1.2022)
German Australians - Wikipedia(30.1.2022)
maertens_germans_in_nt_jan2018_niwp.pdf (cdu.edu.au) (30.1.2022)
Hahndorf (South Australia) – Wikipedia(30.1.2022)
Sträflingskolonie Australien – Wikipedia(30.1.2022)
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The History of the Aboriginal Art Movement | Kate Owen Gallery (7.2.2022)
Richard Bell Art (8.2.2022)
Embassy | Richard Bell Art (8.2.2022)
Richard Bell at The Venice Biennale 2019 - IDAIA (8.2.2022)
Richard Bell on gate-crashing the Venice Biennale — Art Guide Australia (8.2.2022)
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Verwobene Geschichte(n). Herkunftsorte von Objekten und ihre Beziehungen zu Schleswig-Holstein (2)
Colombo Detectives: Husum, Schleswig, Mildstedt, maritime Netzwerke und die alten Römer
„Von der fürtrefflichen Insul Zeilon“, die der aus dem damaligen Herzogtum Schleswig stammende Matrose Jürgen Anderson 1645 erlebt hat, berichtet er unter anderem: „Die Cingalen stehen […] fast alle Tage auf dem Marckte mit kleinen Säcken voll Edelsteinen´, worunter die meiste unecht oder schlechte gemeine sind, und verkauffen sie auf folgende Art: Man gibt ihnen ein Ropi oder halben Reishsthal.so mag man in den Sack einen Griff unbesehens thun, gleich als griffe man in einen Glückstopff. Ich habe für ein Stück von Achten zwo Hände voll gekaufft, der erste Griff war mir unglücklich, fand nicht einen guten Stein darunter, als nur ein paar kleine Steine, welche man Katzen-Augen nennet, der ander Griff aber war mir glücklicher, bekam etliche Rubinen und Saphire, die auf 10 Thal. geschätzt wurden“ (Olearius (Hg.) 1669: 65,66).
Der Maler Emil Nolde, der 1914 auf dem Rückweg von der Südsee mit dem Schiff im Hafen von Colombo einlief, schreibt darüber in seinen Lebenserinnerungen: „Von der „Paradiesischen Schönheit“ Ceylons sahen wir nicht viel, sie wird nicht im Bereich von Reisenden liegen, die nur einen Tag dort weilen können“ (Nolde 1965: 125). Allerdings finden sich in seiner Sammlung 5 Masken aus Sri Lanka. Ob er sie in Colombo oder in Europa erstanden hat, lässt sich gegenwärtig nicht sagen, fest steht nur, dass er eine davon in dem 1919 erstandenen Bild „Masken und Georginen“ gemalt hat (vgl. Müller 2012: 133).
Neunzehn Jahre früher, 1895, fuhr der Süddeutsche Wilhelm Geiger zum ersten Mal nach Sri Lanka. Gerade mit dem Schiff in Colombo angekommen, „[fanden sich] [d]ie Passagiere […] zusammen und bereiteten sich vor für die Ausschiffung oder für einen kurzen Besuch an Land. Auf dem Wasser wimmelte es von Kähnen. Eingeborene Händler kamen an Bord und priesen uns ihre Waren an: Schnitzereien aus Elfenbein und Ebenholz, Schmucksachen und Edelsteine, kleine Papageien und köstliche Früchte. Wechsler liessen ihre Silber-Rupies in den Händen klingen. Bedienstete der verschiedenen Hotels empfahlen uns ihre Häuser; Führer erboten sich zur Begleitung zu diesem oder jenem Ausfluge […]“ (Geiger 1898:26).
Einen Tag später unternimmt er einen Ausflug und berichtet: „[…] in der […] Bucht haben Fischer ihre Boote an das Land gezogen. Es sind sogenannte Outriggers oder Auslegerboote, die für Ceylon charakteristisch sind. Sie bestehen lediglich aus einem ausgehöhlten Stamme und sind so schmal, dass eine Person nur mit Mühe drin sitzen kann; die Seiten sind, um das Einschlagen der Wellen zu hindern, durch aufgesetzte Bretter erhöht. Um nun das kiellose Fahrzeug vor dem Kentern zu hindern, gehen von der einen Bootseite horizontal zwei kräftige, etwas gekrümmte Stangen hinaus; dieselben sind an ihrem Ende durch einen runden und beiderseits zugespitzten Balken, den „Ausleger“, verbunden, welcher parallel mit dem Boote auf dem Wasser schwimmt. […] Ich habe diese Outriggers sowohl mit dem Ruder als mit dem Segel ganz ausgezeichnet fahren sehen; namentlich ist es staunenswert, mit welcher Sicherheit sie die starke Brandung an den Korallenriffen durchschneiden, die in einiger Entfernung die Küste umgürten“ (ebd.: 28, 30).
Im November 1907 landete der Maschinistenmaat Johannes Schumacher im Hafen von Colombo und hatte Landgang von 7.30 Uhr bis Mittag. Gleich an der Landungsbrücke stieg er mit einigen Freunden in eine Rikscha und besuchte zunächst den „Viktoria Park“, „einen herrlich angelegten tropischen Garten“, wie er in seinem Tagebuch schreibt. Dann zeigte er ein interessantes Verhalten, das über die Rolle von Museen bei Souvenirkäufern nachdenken lässt: „Sodann besuchten wir das in der Nähe gelegene Museum für Volks- und Naturkunde (freier Eintritt) Parterre eine große Altertumssammlung enthaltend Waffen, Geräte Götzen usw.“ (Schumacher 2005: 12). Nach anderen Besichtigungen wieder „[a]m Hafen angekommen, besuchten wir verschiedene Geschäftslokale, deren Hauptverkaufsartikel Ebenholz, Elfenbein und Edelsteine waren. […] 11.30 fuhren wir an Bord zurück. Unterwegs begegneten uns viele einheimische Boote, deren schmaler Bau und aus einem zugespitzten Stamm gebildeter Ausleger auffällig sind. Wie überall so wurden auch hier an Bord Südfrüchte, hauptsächlich Bananen Ananas Kokosnüsse usw. zu sehr billigen Preisen verkauft. Außerdem wurden noch Ringe, Edelsteine, Briefmarken usw. nach vorherigem langen Handeln an den Mann gebracht“ (ebd.: 13). Den Verkaufsangeboten war also schwer auszuweichen.
Wir wissen nicht, ob und wenn ja, was die beiden Reisenden bei den sich zahlreich bietenden Gelegenheiten in Colombo gekauft haben. Die Boote jedenfalls haben auch viele andere europäischen Hafenbesucher fasziniert. Und es spricht für sich, dass unter den 58 Objekten aus Sri Lanka, die im Rahmen des Projektes erfasst wurden, 16 Modelle der oben beschriebenen Boote zu finden sind. Sie befinden sich im Nordfrieslandmuseum Nissenhaus und im Museum für Archäologie Schloss Gottorf. Von den meisten Sammlern ist kein Name übermittelt. Ausnahme sind der Arzt Dr. Hermann Gutschow und der Maler Hermann Eugen Graf. Ein Bootsmodell übereignete Gutschow 1886 dem ehemaligen Kieler Völkerkundemuseum ein Bootsmodell. Er war 1876 nach Ostasien gefahren um im japanischen Yokohama mit dem Aufbau des Lazaretts der Kaiserlichen Marine zu beginnen. Ab 1884 lebte er in Kiel. Über den 1873 geborenen Hermann Graf ist weniger bekannt. Fest steht, dass er in Weimar Kunst studiert und später unterrichtet hat und von 1898 bis 1939/40 in den dortigen Adressbüchern nachzuweisen ist. Zwei Bootsmodelle aus seinem Besitz werden im Nordfrieslandmuseum Nissenhaus Husum aufbewahrt.
Von den erwähnten, in Lokalen oder von fliegenden Händlern angebotenen „Hauptverkaufsartikeln“ Ebenholz, Elfenbein und Edelsteinen sind verhältnismäßig wenige in die hiesigen Museen gelangt. Es finden sich 2 Spazierstöcke mit einem Griff in Form eines Elefantenkopfes mit kleinen Stoßzähnen aus Elfenbein und 4 kleine Schmuckanhänger mit eingelegten Edelsteinen.
Eine museale Seltenheit aus Sri Lanka ist die Anstecknadel, die an Teilnehmer der Guttemplerkonferenz 1992 in Sri Lanka verteilt wurde. Sie befindet sich im Guttempler-Museum in Mildstedt.
Alle, die sich in Sri Lankas Häfen aufhielten, bewegten sich – vermutlich ohne es zu wissen - im Zentrum eines Jahrtausende alten maritimen Netzwerkes, das seit etwa 2000 Jahren Europa mit Asien verbindet. Unter dem Namen Taprobane war die Insel dem Kommandanten der Flotte Alexander des Großen bekannt. Aber erst die Römer hatten direkten Kontakt mit den Bewohnern. Denn diese entsandten zu Zeit von Kaiser Claudius (Regierungszeit 41-54 n. Chr.) eine Delegation von vier Personen nach Rom, von der der Schriftsteller Plinius in seiner Naturgeschichte berichtet. Zu dieser Zeit war die Insel bereits ein wichtiges Handelszentrum und zentraler Umschlagsplatz. Aufgrund ihrer zentralen Lage verband die Insel die Wirtschafträume östlich und westlich des Indischen Ozeans (Székely 2018: 55; Schenk 2014: 100, 104). Zwischen 200 v.Chr. und 600 n.Chr. begannen einige Ortschaften den Handel mit dem Nahen Osten (Iran, Irak, Arabien) und Südostasien (Kingwell-Banham et alt. 2019: Table 1, Figure 6). Der chinesische Mönch Faxian, der ab 411 für zwei Jahre auf der Insel lebte, um den Buddhismus zu studieren, war der erste, der den Hafen von Colombo erwähnte. 1000 Jahre später führten die Chinesen erfolgreich Krieg gegen das Königtum Kotte an der Westküste der Insel. Bis etwa 1500 dominierten die Araber, Chinesen, Malaien und Inder den Handel. Die Araber nannten die Insel Serendib bzw. Seylan. Dieser Begriff wurde von den 1505 eintreffenden Portugiesen übernonmmen, sie nannten die Insel Ceilao; daraus wurde der Name „Ceylon“, wie die Insel bis 1972 hieß. Die Portugiesen beherrschten die Insel bis 1656. Auf die Portugiesen folgten die Niederländer und von 1796 (an der Küste) bzw. 1815 (mit dem Fall des Königreiches von Kotte) bis zur Unabhängigkeit 1948 waren die Engländer die Kolonialherren. Die danach folgenden Auseinandersetzungen zwischen Tamilen und Singhalesen mündeten in Bürgerkriegen, die das Land zwischen 1983 und 2009 erschütterten.
Die Stadt Colombo mit seinem Hafen war neben dem von der Stadt Galle Mittelpunkt aller drei Fremdherrschaften. Der Name Colombo geht auf die Bezeichnung „Kolamba“ zurück, was auf ein altes singhalesisches Wort für „Hafen“ oder „Fähre“ zurückgeht. Auch heute ist er ein wichtiger Umschlagplatz und stand 2020 auf Platz 25 der der „Top Container Ports“ (Hamburg landete auf Platz 18).
Colombo, Sri Lanka und Schleswig-Holstein
Colombo: 37,31 Quadratkilometer groß , ca. 619.000 Einwohner (die größte Stadt Schleswig-Holsteins, Kiel, hat 246601 Einwohner); Durchschnittstemperatur 30,6°C (in SH: 13°C), die tiefste je gemessene Temperatur betrug 18°C, die Luftfeuchtigkeit liegt durchschnittlich bei 80,5 % (SH: 1981-2010: 81%); durchschnittlich 145 Regentage im Jahr (in SH: 139); größte Stadt und Wirtschaftsmetropole Sri Lankas (in SH: Kiel bzw. Pinneberg (2014)), mit einem Umschlag von 7 Millionen Standartcontainer jährlich (HH-Hafen: 8,7 Millionen Standardcontainer).
Eine erste Besiedelung Sri Lanks erfolgte vor ca. 125.000 Jahren, der moderne Mensch kam vor ca. 28.000 Jahren (erste Menschen in SH vor 62.000 bis 82.000 Jahren, moderner Mensch in SH seit 12.700 Jahren).
Ab etwa dem 3. Jahrhundert v.Chr. ist die singhalesische Schrift auf Inschriften nachgewiesen, als ältester Schriftnachweis in Schleswig-Holstein überhaupt gilt die Fibel von Meldorf mit Runen aus der 1. H. 1. Jh..
Hafen von Colombo (2020): 7 Millionen Standardcontainer jährlich (Hamburger Hafen 8,7 Millionen Standardcontainer)
185 Menschen aus Sri Lanka lebten Dezember 2020 in Schleswig-Holstein, die meisten davon in den Kreisen Ostholstein und Storman.
Fotos: Seebüll: © Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, Fotograf: Dirk Dunkelberg, Berlin; Schleswig: © Museum für Archäologie Schloss Gottorf, Fotograf: Sönke Ehlert, Kiel; Husum: © Nordfrieslandmuseum Nissenhaus, Fotografin: Tanja Brümmer; Milstedt: © Guttemplermuseum Milstedt, Fotografin: Franziska Horschig, Husum.
Zum Weiterlesen:
Senthuran Varatharajah
2018 Vor der Zunahme der Zeichen. Fischer Taschenbuch
Literatur:
Bandara, Dammi ; Nalin Warnajith , Atsushi Minato und Satoru Ozawa
2012 Creation of precise alphabet fonts of early Brahmi script from photographic data of ancient Sri Lankan inscriptions. In: Canadian Journal on Artificial Intelligence, Machine Learning and Pattern Recognition Vol. 3 No. 3, May 2012, S. 33-39. Abgerufen unter: Microsoft Word - AIMLPR-1204-011 (psu.edu) (3.2.2022).
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Hamburg Hafen das Tor zur Welt Teil 3 | NOK21
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Deutsche Biographie - Gutschow, Hermann (deutsche-biographie.de)
Lazarett der deutschen Kaiserlichen Marine in Yokohama – Wikipedia
Graf Hermann 1873 Frankfurt - 1955 (antikbayreuth.de)
Großherzoglich-Sächsische Kunstschule Weimar – Wikipedia
Verwobene Geschichte(n). Herkunftsorte von Objekten und ihre Beziehungen zu Schleswig-Holstein (1)
Was Flugzeuge, Sulawesi, Husum und Nolde gemeinsam haben
Haben Sie im Flugzeug, Bahn oder Bus schon einmal über den Namen der in Kopfhöhe angebrachten Schonbezüge gerätselt? Sie heißen „Antimakassar“ und wurden im 19.Jahrhundert erfunden, um die Sitzmöbel vor dem damals gebräuchlichen Haaröl zu schützen, das unter dem Namen „Makassaröl“ bekannt war und Ende des 18.Jahrhunderts von einem Londoner Friseur erfunden wurde. Der Name „Makassar“ stammt von der gleichnamigen Stadt im Süden der indonesischen Insel Sulawesi. Die Stadt, die 1365 in javanischen Quellen erstmals schriftlich erwähnt wird, hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Sie war eine befestigte Residenzstadt des Zwillingskönigtums Gawo (auch Goa)-Tallo und schon lange vor der Ankunft der Europäer eine bedeutende multinationale Handelsmetropole für Malaien verschiedenster Herkunft und Araber, mit dem Hafen als wirtschaftlichem Zentrum. Später kamen Portugiesen, Engländer, Dänen, Chinesen und Niederländer hinzu. „Die Stadt stand allen offen, welche den Machtanspruch der Herrscher von Goa-Tallo akzeptierten, und war flexibel genug, sich mit allen Neuankömmlingen zu arrangiere, sei es in geographischer und städtebaulicher, in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. […] Die Stadt zeichnete sich durch ihre Offenheit und ihr buntgeschecktes Leben aus, was nicht im Gegensatz zu ihrem makassarischen und islamischem Charakter stand, sondern integraler Bestandteil ihres Wesens war“ (Nagel 2001: 120).
Den Niederländern war diese auch militärisch und diplomatisch starke Konkurrenz ein Dorn im Auge (vgl.: Mostert 2018: 28, 51). Nach einem Krieg gegen das Königreich erzwang die Niederländische Ostindien Kompagnie 1669 die wirtschaftliche Vorherrschaft und erlaubte den Makassaren nur noch Handel mit benachbarten Inseln wie Bali, Java, Borneo und Timor. Die Makassaren ließen sich aber das Heft nicht aus der Hand nehmen und erschlossen Märkte, die für die Niederländer uninteressant waren.
Im Frühjahr 1900 hatte der Reiseschriftsteller „Baron“ Ernst von Hesse-Wartegg (1851-1918), von dessen Reisen zahlreiche Objekte in Husum sind, einen Tag Aufenthalt in Makassar. Er befand sich zusammen mit seiner Frau, der US-amerikanischen Opernsängerin Minnie Hauk (1851-1929), auf dem Weg in die Südsee. Hesse-Wartegg war in Europa ein berühmter und gefragter Mann. Er hatte seit 1876 zunächst die USA und dann die Welt bereist, bereits 19 viel gelesene Bücher und mehr als 350 Artikel veröffentlicht – Mark Twain und Karl May sollen von ihm abgeschrieben haben - außerdem war er seit langem ein gefragter Vortragsreisender. Über Makassar schreibt er: „[…] später ging die Stettin auf der Reede von Makassar, der Hauptstadt von Celebes, vor Anker, um abermals einen Tag hier zu verweilen, die reine Vergnügungsfahrt. Eine fremde, eigenartige Welt thut sich dem Reisenden hier auf, denn Makassar ist die große Pforte, welche zu den Molukken führt“ (Hesse-Wartegg 1902:10). An anderer Stelle begeistert er sich: „Und welche Häfen sind das! Nicht rauchige, rußige, nüchterne Hafenstädte mit ihrem Schmutz, ihrem Lärm und rasendem Verkehr, wie jene der gemäßigten Zonen, sondern hauptsächlich die lieblichsten Tropeneilande, mit üppigem Pflanzenwuchs, mit der merkwürdigsten Bevölkerung, mit nie gesehenen, malerischen Fahrzeugen, gefüllt mit seltenen Erzeugnissen der Tropen, die wir in Europa kaum dem Namen nach kennen; der längere Aufenthalt des Dampfers gestattet es dem Reisenden, Fahrten ins Inland zu unternehmen, die Paläste der Rajas und Sultane, sowie die Hütten der Eingeborenen zu besuchen und die malerische asiatische Inselwelt in ihren typischen Einzelheiten zu sehen“ (ebd.: 4).
Wie genau das Ehepaar Hesse-Wartegg / Hauk diesen Tag in Makassar verbracht hat, ist noch unerforscht. Berücksichtigt man seine Vorgehensweise auf anderen Reisen, könnte er – gut vorbereitet – möglicherweise ein Empfehlungsschreiben bei sich gehabt haben und um eine Audienz bei dem Sultan von Gowa oder seinem Repräsentanten gebeten haben.
Denn im Nordfrieslandmuseum Nissenhaus in Husum befindet sich ein „Geschenk des Königs von Boa“, das das Ehepaar erhalten hatte. Diese in einer besonderen, komplizierten und sehr kunstvollen Flechttechnik gearbeitete Dose wurde möglicherweise in den Frauengemächern des Herrschers gefertigt. Welchen Wert und welche Bedeutung dieses Geschenk für ihn hatte, und ob / welches Gastgeschenk er von Hesse-Wartegg erhielt, ist nicht dokumentiert. Ebenso wenig, was es für das Ehepaar Hesse-Wartegg/Hauk bedeutete.
14 Jahre später machte ein weiteres Ehepaar Halt in Makassar: der Maler Emil Nolde mit seiner Frau Ada. Sie reisten in entgegengesetzter Richtung, da sie sich auf dem Rückweg von Papua-Neuguinea befanden. Nolde erwähnt diesen Aufenthalt in seinem Buch „Welt und Heimat“: „Wir kamen nach Makassar auf Celebes [CK: alter Name von Sulawesi]. Während ein paar Tagen waren wir an Land.“ Das Ehepaar besuchte ein „malayisches Theater“, das ein Stück mit Namen „Genoveva“ aufführte, in dem Nolde u.a. auch den Gassenhauer „Im Grunewald ist Holzauktion“ erkannte (Nolde 1965: 108). Hierbei handelt es sich um eine Vorstellung der sogenannten „Komedi Stambul“, einem indigenen Musiktheatergenre, die von den 1890ern bis zu den 1930ern im indonesischen Archipel sehr beliebt war. 1891 in Surabaya erfunden und mit „eurasischen“ Schauspielern (sogenannten „Indos“) (Cohen 2006: 2), richtete es sich an ein malaiisch sprechendes Publikum. Später bildeten sich viele kleine Kompagnien heraus, die in „Pop-up“ Theatern spielten. Für das Repertoire wurden neben chinesischen, indischen und persischen Romanzen auch beliebte europäische Märchen und Opern adaptiert, Hauptsache es unterhielt das Publikum (Jedamsky 2009: xxvii). Oft in einer karnevalesken Atmosphäre aufgeführt, gerieten sie zu einem „Spektakel der Andersheit / Andersartigkeit“ (Cohen 2010: 1), waren aber auch ein Hauptkanal für das malaiische Publikum, europäische Literatur kennen zu lernen (Cohen 2009: 278). Gleichzeitig ermöglichten sie den Schauspielern wie auch dem Publikum tief in neue Rollen zu schlüpfen, so dass es nach den Vorführungen bisweilen zu Faustkämpfen kam. Von den „Indos“ und malaiischen Kritikern als kulturelle Neuerung geschätzt, wurden die Komedi Stambul von den niederländischen Kritikern als „verachtenswerte Mimikry europäischer Originale“ (Jedamsky 2009: xxvii) bewertet. Nolde selbst war weniger hart, stattdessen fragt er nachdenklich: „Was aber würde ein Javaner sagen, wenn wir eines seiner Götterspiele mit Gamelang-Musik aufführen würden? Oder ihre kultischen Tänze?, ihre Tänze, die jahrzehntelange Übung verlangen und wo jede kleinste Bewegung sinnbildlich bedeutsam ist? Wir wissen ebensowenig, wie er von unsern Märchen, unserem Goethe oder der deutschen Musik“ (1965:113).
Was das Ehepaar an den anderen Tagen unternommen hat, ist derzeit nicht bekannt. Fest steht, dass es ein paar Andenken von Makassar mitbrachte, die der Maler 1928 für das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Gemälde „Mohn und Balifiguren“ adaptierte, und die jetzt in der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde aufbewahrt werden: kleine, teilweise bemalte Keramikfiguren von drei ebenerdig sitzenden Frauen und einem Mann. Gegenstände dieser Art dienten als Kinderspielzeug oder als „Hausdekoration“ (https://hdl.handle.net/20.500.11840/176210) und wurden vermutlich auf einem Markt verkauft. Auch hier wissen wir nicht, welche Bedeutung diese Figuren für Nolde und seine Frau hatten.
Makassar, Sulawesi und Schleswig-Holstein
Makassar: 5°8' südlicher Breite und 119°25' östlicher Länge, 15m über dem Meeresspiegel, 175,7 Quadratkilometer groß (SH ist fast 90x größer), 1,5 Millionen Einwohner (SH 2.911.000), Durchschnittstemperatur 32,5 °C (SH: 13°C), durchschnittlich 187 Regentage im Jahr (SH: 139). Makassar ist die größte Stadt auf der indonesischen Insel Sulawesi und die drittgrößte Stadt Indonesiens.
Die Insel selbst wurde vor 120.000 Jahren von Frühmenschen besiedelt, seit 60.000 bis 70.000 Jahren lebt der moderne Mensch auf der Insel (in SH seit 13.700/ 10.760). Sie beherbergt auch den bislang ältesten Nachweis gegenständlicher Kunst auf der Welt: die Malereien in Leang Tedongnge-Höhle mit einem Alter von 45.500 Jahren.
67 unterschiedliche indigene Sprachen werden auf Sulawesi gesprochen (in SH sind 5 Amtssprachen anerkannt). Erste arabische Händler kamen im 14. Jh. nach Süd-Sulawesi (nach SH: 965), etwas mehr als 200 Jahre später kamen die ersten Europäer.
Um 1400 wurde mit dem Lontaraq eine eigene Schrift entwickelt, eine Weiterentwicklung einer etwa um 800 in Indonesien entstandenen Schrift. Die ersten christlichen Missionare in Schleswig-Holstein um den 782 in Dithmarschen getöteten Atrebanus dürften Schriftstücke in lateinischer Schrift mit sich geführt haben, als ältester Schriftnachweis in Schleswig-Holstein überhaupt gilt die Fibel von Meldorf mit Runen aus der 1. H. 1. Jh..
Das in buginesischer Sprache geschriebene 6000 Seiten starke La Galigo-Manuskript gilt als das längste epische Werk der Welt und wurde 2011 als UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen. Es entstand zwischen dem 13. Und 15. Jahrhundert.
Heute leben ca. 500 Indonesier in Schleswig-Holstein – nicht unwahrscheinlich, dass auch jemand aus der Wirtschaftsmetropole Makassar dabei ist.
Ich danke Frau Dr. Astrid Becker für den Hinweis mit dem Noldebild.
Fotos: Seebüll: © Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, Fotograf: Dirk Dunkelberg, Berlin; Husum: © Nordfrieslandmuseum Nissenhaus, Fotografin: Tanja Brümmer, Husum.
Literatur:
Clark, Marshall und Sally K. May
2013 Understanding the Macassans: a regional approach. In: Clark, Marshall und Sally K. May (Hg.), Macassan History and Heritage. Journeys, Encounters and Influences, Canberra. S. 1-18.
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2006 The Komedie Stamboel: popular theater in colonial Indonesia, 1891 – 1903. Athens.
2009 Hybridity in Komedie Stamboel. In: Jedamski, Doris, 2009, Chewing Over the West. Occidental Narratives in Non-western Readings. Amsterdam. S. 275-302.
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2016 Inventing the Performing Arts. Modernity and Tradition in Colonial Indonesia. Honolulu.
Dutz, Andreas und Elisabeth Dutz
2017 Ernst von Hesse-Wartegg (1851-1918). Reiseschriftsteller, Wissenschaftler, Lebemann. Wien.
Hesse-Wartegg, Ernst von
1902 Samoa, Bismarckarchipel und Neuguinea: drei deutsche Kolonien in der Südsee. Leipzig.
Jedamski, Doris
2009 Introduction. In: Jedamski, Doris, 2009, Chewing Over the West. Occidental Narratives in Non-western Readings. Amsterdam. S.IX-XXXI.
Jones, Paul Anthony
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Eine Kielerin mit Gespür für moderne Kunst aus Afrika
Sucht man in der Datenbank des British Museums nach „Katesa Schlosser“, so findet man 921 Einträge, die Digital Innovation South Africa -Datenbank zur Dokumentation des Kampfes um Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit in Südafrika zeigt 934 Einträge, die Basler Afrika Bibliographien besitzen seit 2001 ein Konvolut ihrer Briefe und Unterlagen zu Namibia. Frau Schlosser hat 29 Bücher veröffentlicht. Die Datenbanken Europeana und Deutsche Digitale Bibliothek weisen nur drei davon auf. Immerhin werden Teile der ca. 600 von ihr in Südafrika gesammelten Objekte, die sich im Kieler Stadtmuseum (als Depositum der dortigen Universität) und im Museum für Archäologie Schloss Gottorf befinden, demnächst in der Datenbak DigiCult der Museen Nord einsehbar sein (Start | Museen Schleswig - Holstein & Hamburg (museen-sh.de)).
Dr. Katesa Schlosser wurde 1920 in Dresden geboren und starb 2010 im Alter von 90 Jahren in Kiel. Ab 1947 arbeitete sie im damaligen Völkerkundemuseum der Christian-Albrechts-Universität der Stadt Kiel, zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft, ab 1960 als Kustodin der ethnologischen Abteilung des Zoologischen Museums der Universität Kiel. Auch wenn Teile des alten ethnologischen Museums seit 1995 bereits nach Schleswig überführt waren, war sie bis zu ihrem Tod dort anzutreffen.
Ihr zweites Engagement galt der „black African population“ in Südafrika (South African Government). 1953 fuhr sie mit einem neunmonatigen Stipendium zum ersten Mal dorthin. Voller Begeisterung schrieb sie 1954 in einem Brief an Freunde: „Aber könnt Ihr Euch vorstellen, wie glücklich ich war, ein Stipendium für Südafrika erhalten zu haben? Ich glaube, niemand wäre glücklicher gewesen als ich, und ich genoss meinen Aufenthalt dort vom ersten bis zum letzten Tag. Ich hatte das Glück, dort eine Menge Farbfotografien machen zu können. Nun muss ich viele Vorträge über Südafrika in verschiedenen Dörfern und Städten halten – sogar in Dänemark –, und ich beginne meistens mit den Worten: „Die Südafrikaner halten ihr Land für das beste in der Welt – und ich stimme ihnen zu!“ (Grogau 2011: xi). Dieser Satz befremdet angesichts der 1948 institutionalisierten Apartheitspolitik in Südafrika. Er lässt sich nur damit erklären, dass sie sich bei ihren Forschungen fast ausschließlich in den von Schwarzen dominierten Gebieten (den frühen Reservationen und späteren Homelands) aufhielt. Mehr als 40 Jahre lang besuchte sie Südafrika, manchmal zweimal im Jahr.
Wer Katesa Schlosser sagt, muss auch Laduma Madela sagen
Seit Juni 1959 besuchte sie den ca. 1906 geborenen Laduma Ncwaba Mikaeli Madela und seine Familie auf dem Ceza Berg in späteren Homeland KwaZulu-Natal. Bis zu seinem Tod im Jahre 1996 blieben beide in engem Kontakt. Wenn sie ihn nicht besuchte, schrieben sie sich Briefe. Laduma Madela war ein traditioneller Heiler und zudem ein vielseitiger Handwerker, Schmied, Schnitzer, Maler, Philosoph und Autor, der sich das Schreiben selbst beigebracht hatte. Viele seiner Gedanken und Werke hat Frau Schlosser festgehalten, gesammelt und veröffentlicht. Die jeweiligen Bücher hat sie ihm beim nächsten Besuch in Südafrika mitgebracht.
Schlossers Ziel bei ihren Publikationen war es, „eine möglichst umfassende Darstellung von Madela selbst und seinen Werken der Nachwelt zu überliefern, da Madela in der Zeit des extrem rasch fortschreitenden Kulturwandels noch weitgehend die traditionelle Kultur der Zulu repräsentiert und ihrem Gedankengut verhaftet ist“ (Schlosser 1986: 1). Schließlich, meinte sie halb augenzwinkernd, „hatte Laduma seine stärkste Magie aufgeboten, um mich zwecks gemeinsamer wissenschaftlicher Arbeit an sich zu binden“ (Schlosser 1972: 61, 62; 1984: 1). Madela hatte, so Schlosser, erkannt, dass es wichtig war, sein Wissen schriftlich und bildlich festzuhalten, damit es bewahrt und weitergegeben kann. Als erster Zulu schuf er Bilder vom Schöpfergott Mvelingangi. Es entstand eine Form religiöser Kunst, die es bisher in Südafrika noch nicht gab (Schlosser 1975: 93). Leider konnte erst ein Jahr nach seinem Tod die Veröffentlichung der englischen und Zulu-Version seiner Texte und Zeichnungen finanziert werden.
Eine frühe Sammlerin zeitgenössischer afrikanischer Kunst
1975 veröffentlichte Katesa Schlosser in einer Fachzeitschrift einen Beitrag über dreizehn schwarze Künstler in Südafrika. Dies war das erste Mal, dass man in Deutschland über ganz unterschiedliche, zeitgenössische schwarze Künstler lesen konnte. Inspiriert zu dieser Forschung wurde sie von Killie Campbell, die in Durban eine große Privatsammlung zusammengetragen hatte. Auch Frau Schlosser kaufte Werke der von ihr besuchten Künstler und stellte sie im Museum in Kiel aus. Damit war sie eine Vorreiterin, denn zeitgenössische afrikanische Kunst wurde erst ca. 10 Jahre später von den großen Museen und Galerien in Deutschland und in Südafrika selbst „entdeckt“, so z.B. in der wegweisenden Ausstellung „The Neglected Tradition: Towards a New History of South African Art“ 1988 in Johannisburg. Viele wichtige Werke der Pioniere schwarzer südafrikanischer Kunst befinden sich heute in Kiel und Schleswig.
Die von Schlosser porträtierten Künstler sind zwischen 1885 und 1930 geborenen, sie schufen ihre Werke in einem Land, das durch seine Politik der institutionalisierten Unterdrückung Nichtweißer gekennzeichnet war. Daher konnten begabte junge Menschen wie Milwa Mnyaluza„George“ Pemba, Gerard Bhengu oder Hezekiel Ntuli keine formale Künstler-Ausbildung in Südafrika erhalten.
Der seit seiner Kindheit malende Pemba (1912-2001) kam mit 19 Jahren in Kontakt mit der Aquarellmalerei und hatte schon einige Bücher illustriert, bevor er im Alter von 25 vier Monate mit einem Stipendium als externer Schüler an einem Kurs an der Rhodes Universität teilnehmen konnte. 1942 wandte er sich der Ölmalerei zu, die besser geeignet zu sein schien, die sozialen Ungerechtigkeiten und Not der schwarzen Südafrikaner zu zeigen. Ab 1956 betrieb er mit seiner Frau ein Geschäft, das ihm und seiner Familie den Lebensunterhalt sicherte und malte nebenbei. Über den Vorwurf weißer Kritiker, er male „keine afrikanische Kunst“, da sie nicht „primitiv“ sei, konnte Pemba nur schmunzeln.
Gerard Bhengu (1910-1990) ist ein weiterer Pionier. Er war der erste schwarze Künstler Südafrikas, der von seiner Kunst leben konnte. Auch er erlebte Unterstützung durch engagierte Mentoren, die sein Talent förderten, aber auch er erhielt keine formale Ausbildung, da sich einer der Kunstprofessoren dagegen wehrte. Ab 1936 stellte er seine Werke aus und nach dem zweiten Weltkrieg verkauften sich seine Aquarelle gut an Touristen, die mit den ersten Kreuzfahrtschiffen in Durban anlegten. 1965 wurde ein erstes Buch über ihn und seine Arbeiten publiziert.
Der vor 1900 geborene Zizwezenyanga (Tivenyanga) Qwabe fiel zuerst der südafrikanischen Sammlerin Margaret Roach (Killie) Campbell 1937 auf. Er verkaufte auf der Agricultural Show in Durban beschnitzte Stirnbretter der Gestelle zur Aufbewahrung von Schlafmatten. 1959 traf ihn Katesa Schlosser auf der Bantu Agricultural Show in Nongoma. Aus einem geschwärzten Brett kerbte er unterschiedliche Figuren heraus, deren Konturen er vorher hineingeritzt hatte. Der überwiegende Teil seiner Bretter wurde damals von Andenkenhändlern gekauft. 2009 gelangten einige seiner Werke ins Art Institute Chicago und gelten dort als Werke eines künstlerischen Pioniers.
Hezekiel Ntuli (1912-1973) wiederum modellierte seit seiner Kindheit Figuren aus Lehm, die sich gut verkauften und ihm ermöglichten, seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. Auch er erhielt keine professionelle Ausbildung. Der weiße Leiter der „Native Economic Commission“ hatte Bedenken, dass seine „natürliche Begabung“ darunter leiden würde. 1930 und 1931 stellte Ntuli in der Kategorie der „Native Exhibits“ auf der Südafrikanischen Akademie der Künste aus. Um seine Tierfiguren und Büsten von Zulufrauen und -männern mit immer wechselndem Gesichtsausdruck rissen sich schon bald die Andenkenhändler. Die Lage seines Anwesens war in einer Karte der südafrikanischen Tourismuskarte eingezeichnet und er wurde zum populärsten „Native Craftsman“ oder „Naive Sculptor“ Südafrikas, sein Bild zierte bald Postkarten, Zeitungen und Zeitschriften zierte.
Mit den Werken dieser und anderer Künstlerpioniere aus Südafrika legte Katesa Schlosser die Grundlage für einen Schatz, der in Europa und den USA einzigartig ist.
Wer sich für den Südseebestand der alten Kieler ethnographischen Sammlung interessiert, kann Teile davon in der 2020 eröffneten Dauerausstellung des Schifffahrtsmuseum sehen.
Fotos: Kiel: © Stadt- und Schifffahrtsmuseum Kiel, Arbeitsfoto Kalka; Schleswig: © Museum für Archäologie Schloss Gottorf, Fotograf: Sönke Ehlert, Kiel
Literatur:
Grogan, Patrick
2011 PA. 44. Katesa Schlosser (1920-2010). Teilnachlas. Die „Herero-Akte“. Zur Geschichte und Ethnographie der Diaspora von Herero und Mbanderu. Basel.
Schlosser, Katesa
1972 Zauberei im Zululand. Manuskripte des Blitz-Zauberers Laduma Madela. Kiel.
1975 Bantukünstler in Südafrika. In: Zeitschrift für Ethnologie, Bd. 100, Heft 1 /2, S. 38-98.
1984 Medizinen des Blitzzauberers Laduma Madela. Kiel
1986 Handwerke des Blitzzauberers Laduma Madela. Kiel
Onlinequellen: (alle zuletzt abgerufen am 21.1.2022):
Katesa Schlosser | British Museum
Katesa Schlosser (gelehrtenverzeichnis.de)
Microsoft Word - Katesa_Schlosser (uni-kiel.de)
South Africa's people | South African Government (www.gov.za)
South Africa's population | South Africa Gateway (southafrica-info.com)
Laduma Ncwaba Mikaeli Madela | South African History Online (sahistory.org.za)
PA.44_Katesa-Schlosser.pdf (baslerafrika.ch)
Schlosser, Katesa – Basler Afrika Bibliographien
SP Katesa Schlosser (germananthropology.com)
Katesa Schlosser | Digital Innovation South Africa (ukzn.ac.za)
Katesa Schlosser | Digital Innovation South Africa (ukzn.ac.za)
Kunst in Zeiten der Apartheid | Main-Taunus (fnp.de)
Modern African Art : A Basic Reading List
Margaret Roach Killie Campbell | South African History Online (sahistory.org.za)
Milwa Mnyaluza “George” Pemba | South African History Online (sahistory.org.za)
Artist of the Month: George Pemba - Ellerman House Blog
https://m.facebook.com/WoGA1884/photos/a.135119630269256/1140590509722158/?type=3
Johans Borman Fine Art / Artist Biographies / Pemba, George
Artist Notes: (Social) Realism: South Africa (gaelart.blogspot.com)
The Art of Gerard Sekoto - Kentake Page
Live Virtual Auction Lots | 8 November 2020 | Strauss & Co (straussart.co.za)
Gerard Bhengu SA artist, is born in Natal | South African History Online (sahistory.org.za)
Gerard Bhengu | South African History Online (sahistory.org.za)
Zizwezenyanga Qwabe | The Art Institute of Chicago (artic.edu)
South African Art (contemporary-african-art.com)
Das Ende der Apartheid-Gesetze | bpb
The Pioneers | South African History Online (sahistory.org.za)
About Us | Digital Innovation South Africa (ukzn.ac.za)
George Pemba | The Rehearsal: Umbhorho (1987) | Available for Sale | Artsy
George Milwa Mnyaluza Pemba | Art for Sale | Bio & Auction Results (straussart.co.za)
Bonhams : George Milwa Mnyaluza Pemba (South African, 1912-2001) At the Clinic
Zululand | historical region, South Africa | Britannica
South Africa's people | South African Government (www.gov.za)
South Africa's population | South Africa Gateway (southafrica-info.com)
Weiterführende Literatur
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Zwischen waffenstarrender Exotik und hierarchischen Konstruktionen – 120 Jahre Afrika im Geographieunterricht
Diesmal führt das vorgestellte Objekt nicht in ferne Welten, sondern direkt vor die Haustür. Es geht um zeitgeistabhängige Welt- und Wertvorstellungen, die durch im Unterricht oder zur Unterrichtsvorbereitung benutzte Materialien vermittelt werden. Ausgangspunkt sind die etwa 120 Jahre alten Schulwandbilder der Unterrichtsfächer Geographie und Naturkunde im Dorf- und Schulmuseum Schönwalde a. B. und im Museum für Archäologie Schloss Gottorf. Hier werden die Afrika betreffenden Geographiebilder vorgestellt.
Die sechs farbigen Buntdrucke sind jeweils 66 cm hoch und 88 cm breit und wurden von dem Leipziger Schulbilderverlag F. E. Wachsmuth gedruckt. Auf den weißen Rahmen der Bilder ist der Titel der Bilder zu lesen: „Eine Verhandlung unter dem Affenbrotbaum in Togo“, „Kamerun: Dorf mit Blick auf dem Kamerunberg“, „Ochsenzug in der Grassteppe von Südwestafrika“, „Dar-es-Salam“, „Blick vom Kilimandscharo auf die Massaisteppe und das Ugenogebirge“ und „Landschaft Moschi am Kilimandscharo“.
Zusätzlich gab der Verlag ein Buch für Lehrer heraus, das Hintergrundinformationen zu den Schulwandbildern enthielt. Diese sollten an die Schüler*innen weitergegeben zu werden und die auf den dazugehörigen Wandbildern dargestellten Szenen erläutern. Erschienen ist das Büchlein 1902.
Drei der Bilder wurden von dem Maler Wilhelm Kuhnert (1865-1926) gestaltet. Er ist verschiedentlich in Afrika gereist; dies wird in vielen Details seiner Bilder deutlich, so z.B. bei der Ausführung der Menschendarstellungen. Er dürfte die Menschen in vielen Skizzen vorher festgehalten haben – vermutlich ohne die Betreffenden vorher gefragt zu haben.
Über den anderen Maler, Franz Bukacz, ist wenig bekannt; er scheint nicht in Afrika gewesen zu sein. Seine Menschendarstellungen sind daher relativ einheitlich, weisen kaum Individualität auf und entsprechen eher einem rassistischen, karikaturhaften Stereotyp.
Die Farbdrucke zeigen zum einen teils wohlkomponierte Landschaften, die viele verschiedene Eigenschaften und im Begleitbuch beschriebene Details in sich vereinen, teils Landschaften, die der Maler augenscheinlich selbst gesehen hat. Die Landschaften sind zumeist grün, bewachsen mit Palmen und riesigen Bäumen, sie rufen eine Vorstellung von Bodenfruchtbarkeit und fast paradiesischer Üppigkeit hervor.
Die Menschen auf diesen Bildern sind zumeist klein und in harmonisch anmutenden Situationen innerhalb und außerhalb von Ansiedlungen dargestellt. Wir sehen insgesamt 51 schwarze Männer, neun schwarze Frauen und etwa 28 schwarze Kinder sowie sieben weiße Männer. Während auf jedem Bild afrikanische Männer und europäische Präsenz zu sehen sind, sind drei Bilder kinderfrei und eines frauenlos.
Insgesamt wirken die Bilder auf den ersten Blick wie Momentaufnahmen des Alltagslebens in den Kolonialgebieten, die ab 1884 vom damaligen Deutschen Reich, gegen massiven indigenen Widerstand, annektiert wurden. Die Afrikaner*innen werden in unterschiedlichen Tätigkeiten dargestellt, die ihren scheinbaren Alltag wiedergeben: Die Männer tragen Bananen oder Elfenbein in/durch den Ort, versammeln und beraten sich unter einem Baum, unterrichten, halten einen Markt ab, trommeln, hocken auf der Erde, schauen den Frauen zu, treiben Vieh zur Tränke, schmieden, stellen Palmöl her, sitzen zu Füßen eines Europäers auf „Entdeckungsreise“, stehen als Soldaten im Dorf oder befinden sich auf der europäischen Station. Die Frauen zerstampfen Getreide in einem Mörser, kümmern sich (stehend oder sitzend) um die Kinder, tragen Lasten auf dem Kopf oder begleiten zusammen mit einem/ihrem Mann die Viehherde. Die Kinder sitzen im Halbkreis zu Füßen ihres Lehrers, auf dem Schoß oder der Hüfte ihrer Mutter, gehen an ihrer Hand oder stehen hinter ihr. Insgesamt entsprechen diese Tätigkeiten eher dem europäischen Menschen- und Geschlechterbild als der afrikanischen Wirklichkeit, Sie unterschlagen nicht nur z.B. die starke Präsenz von Händlerinnen auf den Märkten und die Tatsache, dass Keramikgefäße mehrheitlich von Töpferinnen gefertigt wurden/werden. Vielmehr werden europäische Verhältnisse bei aller Exotik des Dargestellten als Norm gedacht.
Diese Exotik ist einen weiteren Blick wert. Sie steckt z.B. in der Weite, in den faszinierend großen Bäumen, in runden Häusern mit spitzkegeligen Dächern, in dem Vieh mit den ausladenden Hörnern, den Bananen und dem Elfenbein. Sie kennzeichnet die Umgebung als anders. Auch die Menschen werden in unterschiedlichem Maße als „die anderen“ gekennzeichnet: Die Fremden z.B. durch ihre Tropenkleidung, die Indigenen zusätzlich zu ihrem Kleidungsstil auch durch Details wie das Sitzen auf der Erde oder das Benutzen von Steinwerkzeugen. Dies rückt sie in die Nähe von vermeintlicher Primitivität.
Die europäische Präsenz ist ebenfalls interessant. In allen Bildern ist sie vorhanden, sei es in Form von Männern in heller Tropenkleidung, sei es in Form von festen europäischen Ansiedlungen oder Häusern, die sich meist hell und unorganisch herausstechend im Hintergrund abheben.
Die weißen Männer scheinen sich auf den ersten Blick unauffällig in die Gegebenheiten zu integrieren. Sie treten in der Regel zu zweit auf, nur der „Forschungsreisende“ ist alleine. Sie sind zumeist gut sichtbar positioniert, in der Regel im Zentrum des Bildes oder in der Nähe der Bildmitte. In zwei Bildern fehlen sie, stattdessen kann man im Hintergrund die damalige deutsche Militärstation Moschi (jetzt: Moshi) bzw. die kolonialen Bauten der Stadt Daressalam und ein weißes europäisches Schiff sehen. Von sieben dargestellten Weißen sind vier mit einem Gewehr bewaffnet. Auf jedem Bild mit einem weißen Mann ist ein Gewehr zu sehen. Nicht immer sind diese Waffen auf den ersten Blick zu erkennen, ganz im Unterschied zu den insgesamt zehn - senkrecht in den Boden gesteckten oder in der Hand gehaltenen -Speeren auf den Bildern „Verhandlungen unter dem Affenbrotbaume in Togo“ und „Blick vom Kilimandscharo auf die Massaisteppe und das Uguenogebirge“. Auf dem Bild „Kamerun: Dorf mit Blick auf den Kamerunberg“ finden wir zusätzlich zwei afrikanische Soldaten in deutschen Diensten, von denen einer ein Gewehr geschultert hat. Auf dem Bild „Landschaft Moschi am Kilimandscharo“ trägt der indigene Anführer einer Elfenbeinkarawane ein Gewehr sowie ein im Hintergrund in der Station patrouillierender afrikanischer Soldat. Das ergibt ein rechnerisches Verhältnis von sieben dargestellten weißen Männern, von denen vier ein Gewehr tragen und 51 schwarzen Männern, die mit zwei Gewehren und zehn Speeren bewaffnet sind. Latente Waffengewalt als Mittel des kolonialen Umgangs spricht aus jedem Bild.
Die vor 120 Jahre im Schulunterricht eingesetzten Bilder waren dazu angelegt, den Betrachter*innen (Lehrenden wie Lernenden) ein Bild von den vermeintlichen Gegebenheiten in den sogenannten „deutschen Schutzgebieten“ in Afrika vor Augen zu führen, quasi Land und Leute vorzustellen. Sie zeigen unterschiedlich große Menschen(gruppen) bei angeblichen Alltagsbeschäftigungen, eine Vielfalt an Ökozonen/Vegetationszonen, europäische Migration nach Afrika, eine Omnipräsenz von Waffen(gewalt) und indirekt Europäer als Arbeitgeber. Sie zeigen allerdings ein sehr idealisiertes Bild, das den tatsächlichen rassistischen und durch Gewaltherrschaft gekennzeichneten Alltag in den annektierten Gebieten mit seinen Kriegen, Enteignungen, Plünderungen, Vergewaltigungen, Vertreibungen, Entführungen und Zwangsarbeit etc. bewusst ausblendet. Stattdessen wird eine nach europäischen Vorstellungen „heile Welt“ unter deutscher Präsenz gezeigt.
Die Bilder laden zudem zu einem Gedankenspiel ein: Was, wenn man die Gewehre in Fotoapparate verwandelte und die Kleidung aktualisierte? Hätte man dann ein aktuelles Tourismus- /Touristenfotos vor sich?
Und falls Sie zufällig ein aktuelles Geographieschulbuch zu Hand haben sollten, lohnt sich ein Blick hinein. Bereits 1995 bemängelten Lütkes und Klüter in den von ihnen damals untersuchten gängigen Geographiebüchern eine seit der Kolonialzeit fast unveränderte stark „eurozentristische Sichtweise“, „die nur die eigenen Werte in den Mittelpunkt stellt“ (Lütkes, Klüter 1995: 65), ein evolutionistisches Gedankengut (ebd.: 54) und das Primat des wirtschaftlichen und technischen Standes bei der Beurteilung eines Landes (ebd.: 46, 55). Die 2015 von Marmer, Soe und Ziai durchgeführte Analyse von aktuelleren Unterrichtsmaterialien kommt zu ähnlichen Ergebnissen (S. 124, 125). Nur wenige Autoren haben sich explizit mit den Schulbuchillustrationen und ihren subtilen Botschaften beschäftigt (vgl. Awet)
Wenn Afrika in Ihrem Geographiebuch in Texten wie in Illustrationen durch seine reiche Vielfalt an Ökozonen / Vegetationszonen, kulturellen, wirtschaftlichen und religiösen Ausdrucksformen, Regionalgeschichte (jenseits von Altägypten und „Lucy“) charakterisiert wird, wenn Afrikaner*innen selbst zur Sprache kommen, wenn versteckte rassistische und/oder eurozentrische Botschaften, Werte und Klischees fehlen, wenn Probleme auch mit dem Eingebundensein des betreffenden Landes in internationale Verflechtungen erklärt werden und als Teil der Globalgeschichte verstanden und Gemeinsamkeiten betont werden u.V.m., dann halten Sie eine Neuauflage in den Händen, die auf der Höhe der aktuellen postkolonialen Debatte ist. Dasselbe gilt natürlich auch für die anderen Kontinente und ihre Bewohner.
Zum Schluss noch ein Ratespiel. Die folgenden 11 Aussagen stammen aus verschiedenen Schul- und Lehrerbüchern des Faches Geographie. Die ältesten Aussagen stammen aus dem erwähnten Büchlein von 1902, die jüngsten aus Büchern, die aktuell in Gebrauch sind. Können Sie spontan die Aussagen ihrer Entstehungszeit zuordnen?
„Durch die Ehrlichkeit der Afrikaner wurde dieses Doppelspiel […] bekannt.“ (1)
„Wir erblicken links einige Hütten. Die sind rund gebaut und haben ein spitzes Dach. Dasselbe ist mit Gras oder Schilf bedeckt. Eine einzige Öffnung dient als Fenster und Tür. Nachts wird sie mit einer Matte verhängt. Die breite Dorfstraße ist sauber und reinlich, und dieselbe Reinlichkeit herrscht in den Hütten.“ (2)
„Die Zulu […] leben von der Viehzucht, dem Ackerbau und von der Eisenverarbeitung. Die Zulu leben in Dörfern mit einfachen, strohbedeckten Hütten, welche in einem Kreis angeordnet sind. Sie haben einen König und einen Ältestenrat, welcher das Zusammenleben regelt.“ (3)
„Jeder Stamm in Afrika hat seine eigenen Masken für verschiedene Gelegenheiten. In erster Linie werden die Masken zur Beschwörung von Geistern verwendet. Sie dienen aber auch zum Schutz vor diesen Geistern.“ (4)
„Ihrer Religion nach sind sie Heiden, welche an viele Götter glauben, ihnen Opfer bringen und Feste feiern.“ (5)
„Afrika gilt als reich an Rohstoffen, Krankheiten und Konflikten sowie arm an Nahrungsmitteln, Wirtschaftskraft und politischer Stabilität. Wirtschaftlich einzig als Rohstofflieferant von Bedeutung wurden ihm – trotz anderslautender Bekundungen der Politiker – kaum Perspektiven in der Weltpolitik zugetraut. Denn die erreichten Erfolge wurden durch Umstürze, Gewaltausbrüche und die fast allgegenwärtige Korruption immer wieder in Frage gestellt.“ (6)
„Sie nennt man auch die Zukunftsbauern Ostafrikas.“ (7)
„Die gesellschaftliche Entwicklung durchläuft nach der Modernisierungstheorie fünf Stadien (Beispiel): 1) traditionale Gesellschaft (Mali), 2) Übergangsgesellschaft (Ägypten), 3) Startgesellschaft (Malaysia), 4) reife Industriegesellschaft (Tschechische Republik), 5) Massenkonsumgesellschaft (USA).“ (8)
„Der Wohlstand freilich soll erst noch kommen, wie bei allen ackerbautreibenden Stämmen Ostafrikas, weil sie bisher durch die Raubzüge der arabischen Sklavenhändler unendlich viel zu leiden gehabt haben. Sind doch manche Stämme dabei ganz und gar ausgerottet worden!“ (9)
„So schauen manche Leute auch ein wenig abwertend auf einen Kontinent, der aber vieles bietet, was in unserer „Zivilisation“ verloren gegangen ist (z.B. Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Wissen um die Naturgegebenheiten).“ (10)
„Seit mehr als 25.000 Jahren durchstreifen die Jäger und Sammler die Savannen Afrikas. Sie benutzen keine Waffen, sondern jagen wie ihre Vorfahren mit Pfeil und Bogen“ (11)
Haben Sie es erraten können? Waren Sie verwirrt, weil die Aussagen nicht so eindeutig waren, wie Sie im Vorhinein gedacht hatten?
AUFLÖSUNG: Zitate 1, 2, 5, 7, 9) Eschner 1902: 20, 17, 34, 67, 66; Zitat 3) Keseberg 2021: Afrikanische Völker: Text; Zitate 4, 10, 11) Rosenwald 2015; Zitat 6) Scholz 2017: 84; Zitat 8) Waldeck 2018: 182
Literatur:
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2015 Wie Rassismus aus Schulbüchern spricht. Kritische Auseinandersetzung mit ‚Afrika‘-Bildern und Schwarz-weiß-Konstruktionen in der Schule. Ursachen, Auswirkungen und Handlungsansätze für die pädagogische Praxis. Weinheim und Basel.
Marmer, Elina, Papa Sow und Aram Ziai
2015 Der ‚versteckte‘ Rassismus im Schulbuch. In: Marmer, Elina, Papa Sow (Hg.) 2015: 110-125.
Projekt Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel (Leo) beim Amt für Weiterbildung und Kultur des Bezirksamtes Mitte von Berlin und Elina Marmer (Hg.)
2015 Rassismuskritischer Leitfaden zur Reflexion bestehender und Erstellung neuer didaktischer Lehr- und Lernmaterialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora. (abgerufen unter: https://www.elina-marmer.com/wp-content/uploads/2015/03/IMAFREDU-Rassismuskritischer-Leiftaden_Web_barrierefrei-NEU.pdf).
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Kolonialpolizei – Wikipedia (15.11.2021)
cover_abok.indd (africavenir.org) (24.11.2021, S. 12-17)
Deutsches Erbe in Kamerun - Nach 100 Jahren startet Aufarbeitung (deutschlandfunkkultur.de) (6.12.2021)
130 Ans De Résistance Anticoloniale Au Cameroun: Texte Intégral Du “Voeux Des Camerounais” Et Du Traité Du 12 Juillet 1884 - AfricAvenir International (6.12.2021)
Wilhelm Kuhnert – Wikipedia (6.12.2021)
Wilhelm Kuhnert (6.12.2021)
Thomas Ona. A carved wood and painted figure of a district officer - Auktionen & Preisarchiv (lotsearch.de) (6.12.2021)
KÖNIG DER TIERE. WILHELM KUHNERT UND DAS BILD VON AFRIKA - SCHIRN MAG (6.12.2021)
Diercke Weltatlas - Kartenansicht - El Fasher (Sudan) - Desertifikation in der Sahel-Zone - 978-3-14-100770-1 - 175 - 5 - 0 (westermann.de) (9.12.2021) streichen
978-3-12-105006-2 (livebook.de) (9.1.2022)
Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen
Mehr als nur Schuhwerk - Das kulturelle Gedächtnis der Mokassins
Im Jahr 1898 kaufte das Völkerkundemuseum der Universität Kiel eine Reihe von Gegenständen von Th. Susemihl, Hotelbesitzer in Californien. Der Betrag ist im Eingangsbuch nicht genannt, als Hersteller werden die „Sioux (Calif.)“ angegeben. Diese Angabe ist zunächst einmal merkwürdig, denn die Mitglieder der Sioux-Konföderation, die „Feuer der Sieben Stämme“, bewohnten die mehr als 1800 km vom US-Bundesstaat Kalifornien entfernt liegenden nördlichen Plains.
Die aus hirngegerbtem Leder hergestellten Mokassins haben eine doppelte Sohle, eine angenähte Zunge, ein Bindeband und zwei nach außen weisenden Lederstreifen an der Ferse. Das Vorderblatt wurde mit 10 Reihen rot gefärbter Stachelschweinborsten verziert; ein 9 bis 10 Glasperlen breites Band aus parallelen Perlensträngen bedeckt die Fersennaht sowie die Außenkante und reicht auf der Innenseite etwa bis zum Zungenansatz. Es ist weiß und weist fünf Blöcke aus blau-rot-blauen Quadraten auf, die durch schmale weiße Rechtecke voneinander getrennt sind. Der Sehnenfaden, auf den die Perlen aufgezogen sind, wurde durch die Mitte des Leders gezogen, der Faden kann beim Tragen der Schuhe also auf der Innenseite nicht scheuern und durchgescheuert werden. Die Lederoberfläche wurde nach dem Verzieren gelb gefärbt. Vergleichsobjekte aus der Sammlung der Nebraska State Historical Society, der Minnesota Historical Society und der Smithsonian Institution bestätigen die Zuordnung zu den Sioux.
Wie alle Native Americans („Indianer“) blicken auch die Sioux-Gruppen der Lakota, Westlichen und Östlichen Dakota auf eine wechselvolle Geschichte mit den Weißen zurück, die bis in die Gegenwart geprägt ist von den Folgen von Unterdrückung, Krieg, Enteignung, Vertreibung bis hin zu den Leiden in Konzentrationslagern (vgl. Hyman 2012) und Genozid.
Die Historikerin C. Hyman hat am Beispiel der Dakota herausgearbeitet, dass die unterschiedlichen Phasen des Kontaktes mit den Weißen auch mit unterschiedlichen Phasen der Veräußerung von Mokassins und „Handarbeiten“ einhergingen. Während für die Männer mit dem Wegfall der traditionellen Männeraufgaben (Jagd, Krieg) und dem Verbot der Durchführung von religiösen Zeremonien eine Identitätskrise einsetzte, konnten die Frauen der Dakota über die Fertigung von Mokassins für den Eigenbedarf und den Verkauf ihrer „Handarbeiten“ nicht nur den materiellen Lebensunterhalt ihrer Familie sichern, sondern auch für spirituelle und kulturelle Kontinuitäten sorgen – teilweise sogar unter den Augen der Missionare. Letzteres geschah in manchen Reservationen in von den Missionaren gegründeten Frauengruppen. In für unverdächtig gehaltenen „Handarbeitskränzchen“, in denen die Frauen in den Augen der Missionare „typisch weiblichen“ Beschäftigungen nachkamen, tradierten sie nicht nur die Form der traditionellen weiblichen Arbeitsgruppen, sondern gaben u. a. auch spirituelles und traditionelles medizinisches Wissen an die jüngeren Frauen und Mädchen weiter.
Neben Lederarbeiten erfreuten sich Patchworkarbeiten (sogenannte „Quilts“) schnell großer Beliebtheit. Nicht nur, weil die Frauen leicht an das Material kamen, das u. a. aus Kleiderspenden an die Mission bestand, sondern auch, weil diese Arbeit traditionellen Design-Prinzipien folgen konnte. Beliebt war eine rote Umrandung, wie sie auf einem weiteren von Susemihl gekauften Objekt zu sehen ist. Allerdings ist diese Arbeit sehr einfach gehalten im Vergleich zu anderen Quilts, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden.
Über Händler und Missionare wurden die Erzeugnisse der Dakota-und Lakota Frauen im Land verkauft. Schon früh entstand ein amerikanisch-europäischer Sammlermarkt, den die Frauen mit Erfolg bedienten. In Katalogen wurden die Erzeugnisse beworben: „Möglicherweise gibt es keinen Artikel indianischer Herstellung, der so bekannt und so typisch indianisch ist wie die Mokkassins.“ Auch konnten die Mokassins mit unterschiedlich starker Perlenbestickung bestellt werden: „beaded toe; one half beaded; three-quarters beaded; solidly beaded over tops; beaded all over, top and bottom“.
Bei den Lakota kam noch ein anderes Moment dazu: Den Lakota-Männern der Pine-Ridge-Reservation, denen der Ruf der gewonnenen Schlacht am Little Big Horn vorauseilte, bot sich ab den 1880er Jahren ein Einkommen als Teilnehmer von Wild West Shows. Andere nahmen bei in den USA stattfindenden Weltausstellungen teil, 1894 z. B. im „Sioux-Indianer Dorf“ in San Francisco. Das sich auf 4 acre (= 2 ¼ Fußballfelder) erstreckende Sioux-Dorf der Weltausstellung in Omaha (1898) wurde im offiziellen Führer als „living ethnological exhibit of rarest interest“ hoch gelobt. Integraler Bestandteil sowohl der Wild West Shows als auch der Ausstellungen war der Verkauf von Perlenarbeiten. Die Frauen müssen derartig viele Perlenarbeiten hergestellt haben, dass unter den Oglala-Sioux der Pine-Ridge Reservation der Witz umging: „If anything didn’t move, an Oglala woman would bead it.“ Herr Susemihl hat die Mokassins und die Patchworkarbeit, die er dem damaligen Kieler Völkerkundemuseum verkaufte, also höchst wahrscheinlich auf der Weltausstellung in San Francisco erstanden.
Perlenstickerei und Patchworkarbeiten werden bis heute bei den verschiedenen Gruppen der Sioux hergestellt: Kleidung für die Pow-Wow-Tanzwettbewerbe, Mokassins und Decken, Sneakers und High Heel-Stilettos, Ohrringe und Armreifen, Satteldecken und Masken für Pferdeköpfe, Puppen und vieles andere mehr werden von Frauen, und neuerdings auch Männern, für den Eigenbedarf, den Verkauf an Touristen oder den Kunstmarkt gefertigt. Und wie früher liegt z. B. im Verzieren und Verschenken dieser Stücke eine mehrfache spirituelle Komponente: Zum einen inspiriert in der Vorstellung der Dakota und Lakota das Geistwesen „Double Woman“ bzw. „Two Woman“ die Frauen bei der Verzierung und der Arbeit, zum anderen können die Muster z.B. spirituelle Wesenheiten abbilden und drittens handelt es sich bei dem Akt des Verschenkens innerhalb des Familienkreises um ein komplexes Geflecht aus Ehrung der aktuell beschenkten Verwandten, Ehrung aller Verwandten, ihrer „spirits“ und der gesamten Schöpfung. Die „functional art“ der von den Frauen gefertigten Alltagsgegenstände enthält und bringt das Heilige, „wakan“, in den Alltag.
Literatur
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http://collections.mnhs.org/cms/display?irn=10424026&return=q%3Dquilt%2520sioux
http://search.mnhs.org/index.php?q=quilt%20dakota&startindex=26
(letzter Aufruf der Webseiten am 22.6.2019)
Sylt 2012-240, 2015-337, o.Nr. 9 / Föhr 1239, 991
Vom Weißen Meer zur Nordsee – Ost-West Beziehungen von Schalen, Schatullen und Dosen
Im Vergleich zu anderen Weltgegenden sind Objekte aus dem äußersten Norden Osteuropas und anderen Orten Russlands in den Sammlungen der bislang besuchten Museen in Schleswig-Holstein eher selten. Umso überraschender ist ihre „hohe Konzentration“ in den nordfriesischen Museen. Zunächst erstaunt es, dass vor allem in niederländischen Seefahrtmuseen ebenfalls viele sehr ähnliche Vergleichsobjekte zu finden sind. Wie genau die Beziehung der Inselnordfriesen zu den Niederländern ausgesehen hat, ja, ob es quasi zwischen West- und Inselnordfriesen eine Art „panfriesischer Allianz“ gegeben hat, ist von Historikern zu klären. Fest steht, dass die Inselnordfriesen nicht nur im Walfang, sondern auch stark in der internationalen Handelsschifffahrt engagiert waren, was die in den Museen erhaltenen Objekte beweisen.
Da sind zum einen die in den Niederlanden so genannten „Riganäpfe“ („riganappen“), kleine gedrechselte Schalen, aber auch Pokale oder Löffel („rigawerk“) aus Pappelholz, die in leuchtenden Farben zumeist rot-golden bemalt waren. Der Name ist etwas irreführend, denn er bezeichnet nur den Ort, in dem die Gegenstände von den Seefahrern gekauft wurden, nicht aber den Ort ihrer Entstehung. Dieser liegt etwa 1.500 km weiter gen Osten, in Chochloma bei Nischni Nowgorod, ca. 500 km östlich von Moskau. Hier wurden ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert derartige Gefäße hergestellt, die sich überregional schnell großer Beliebtheit erfreuten. Im Jahre 1870 wurden z. B mehr als 900.000 Stück produziert und nicht nur in Riga, sondern auch bis nach Kirgisien und Indien verkauft. Die Schalen waren ein beliebtes Mitbringsel und viele Seeleute nahmen auch Bestellungen ihrer Nachbarn auf.
Eine zweite Gruppe von russischem Kunsthandwerk stammt aus Archangelsk, oder genauer gesagt, Cholmogory, einer alten Hafen- und Handelsstadt an der Nördlichen Dwina, die die Stadt mit dem 75 km entfernten Archangelsk verbindet. Archangelsk war neben Riga und St. Petersburg ein wichtiger russischer Handelshafen. Bei den speziell von hier mitgebrachten Andenken handelt es sich um mit aufwendigen filigranen Schnitzereien aus Elfenbein und Knochen versehene Nadelholzschatullen. Die Elfenbeinschnitzereien aus Cholmogory faszinierten schon früh die russischen Zaren, die Ende des 17. Jahrhunderts die fähigsten Schnitzer an ihren Hof in Moskau holten. Hatten sie ursprünglich vor allem Kämme und Rosenkränze geschnitzt, produzierten sie nun vielfältigste Gegenstände des weltstädtischen Geschmacks wie Schachfiguren, Schreibtischutensilien, Schnupftabaksdöschen, Messergriffe, kleine Sekretäre und anders mehr. Mit der Verlegung des Hofes nach Petersburg machten sich einige von ihnen dort selbstständig. Doch auch in Cholmogory wurde weiter produziert, allerdings verwendete man ab Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend auch Rinderknochen.
Ein ebenfalls beliebtes Mitbringsel waren zylinderförmige oder ovale Dosen aus Birkenrinde. Nur vergleichsmäßig wenige dieser Objekte haben sich erhalten, was sicherlich Material und Gebrauch geschuldet ist. Sie waren als Reise- und Transportbehälter beliebt, aber auch, weil sich in ihnen aufbewahrte Lebensmittel oder Tabakblätter länger frisch hielten. Die in den nordfriesischen Museen gefundenen Birkenrindenbehälter sind so unterschiedlich gearbeitet, dass mehrere Produktionsstätten angenommen werden dürfen, die von den russischen Orten Weliki Ustjug und Archangelsk bis nach Sibirien reichen dürften. Für letzteres spricht auch die in Westfriesland, Groningen und einer –leider ungenannten – nordfriesischen Hallig überlieferte Bezeichnung für die Birkenrindenbehälter: Tujas oder Tujes. Dieser Name ist in Sibirien gebräuchlich, während in Russland der Begriff „burak“ verbreitet ist. Allerdings ist eine Herkunft aus der schwedischen Provinz Uppland ebenfalls nicht ganz ausgeschlossen.
Literatur:
Attman, Artur
1981 The Russian Market in World Trade, 1500 – 1860. In: Scandinavian Economic History Review, Vol. 29,3 (1981): S. 177-202. Abgerufen als pdf: https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/03585522.1981.10407958
Hachmer, Hendrik
2007 Met de groeten uit Riga, Grüße aus Riga, Ar sveicieniem no Rigas. Assen.
Henningsen, Henning
1968 Maritime Kuriosa og Souvenirs. Sømandens hjembragte ting fre fjern og naer. Abgerufen als pdf: https://mfs.dk/wp-content/uploads/2016/06/1968Maritimekuriosaogsouvenirs82-120.pdf
Nemnich, Philipp Andreas
1793 Allgemeines Polyglotten-Lexicon der Naturgeschichte. Band 1. Hamburg. Spalte 599.
Steusloff, Wolfgang
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Wyschar, N.I., A.L. Gabyschewa et al.
2003 Die nordrussische Beinschnitzerei. Moskau.
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https://www.schell-collection.com/objekt-des-monats/objekt-des-monats-september-2017/
https://de.wikipedia.org/wiki/Cholmogory
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https://www.maritiemdigitaal.nl/index.cfm?event=search.getdetail&id=102008593
https://www.amelanderhistorie.nl/products/riganap/
https://friesscheepvaartmuseum.nl/beeld/fsm-col1-dat1000000177
https://friesscheepvaartmuseum.nl/beeld/fsm-col1-dat1000004099
http://www.artrusse.ca/khokhloma_en.htm
http://resources.huygens.knaw.nl/archangel/app/inleiding?language_of_user=en
http://www.ferring-stiftung.net/friesische-identitaet/seefahrt/
https://en.wikipedia.org/wiki/Veliky_Ustyug
https://en.wikipedia.org/wiki/Baltic_maritime_trade_(c._1400–1800)#The_Dutch_in_the_Baltic
https://www.maritiemdigitaal.nl/index.cfm?event=search.getdetail&id=109006013
(Webseiten zuletzt abgerufen am: 30.1.2019)
Husum, Schleswig: Glimmerbilder, „Reispapierbilder“; Friedrichsruh: Stereoskopie
Schwarzweiß verdrängt Farbe
Lange bevor die Fotografie erschwinglich wurde, dienten Zeichnungen, Drucke und bunte Bilder jeglicher Art in Europa unter anderem auch dazu, eine bildliche Vorstellung, wenn auch oft idealisiert, von fernen Ländern und ihren Bewohnern zu vermitteln. Chinesisches Porzellan begeisterte, als es von den Niederländern zu Beginn des 17. Jahrhunderts vermehrt nach Europa gebracht wurde, nicht nur wegen seines Materials. Schalen und Vasen „wel geschildert met Chineese personaiges“, „schön bemalt mit chinesischen Personen“, verkauften sich besonders gut. Aber auch in China oder Japan für den heimischen Markt gefertigte, illustrierte Bücher oder farbige Holzschnitte wurden von den Seefahrern mit nach Hause gebracht. Der für die Englische Ostindien Kompagnie tätige John Saris musste zur Wahrung des Ansehens seines Arbeitgebers 1614 allerdings seine japanischen Holzschnitte öffentlich verbrennen, sie enthielten für den Zeitgeschmack zu anstößige erotische Motive.
Um dem Bedürfnis der Europäer nach einer trag- und nach Hause bringbaren visuellen Dokumentation von Land und Leuten nachzukommen, entstanden zum Beispiel in Indien und China neue Kunstzweige, die ausschließlich Werke für die Europäer produzierten: Die so genannten „Kampani kalam“ („Company paintings“) in Indien und die sogenannten „Reispapier“-Bilder in China.
In Indien waren die Bilder der indigenen Künstler im 18. Jahrhundert zunächst Auftragsarbeiten für die Europäer (vor allem Engländer und Dänen), die sich als Angehörige von Handelsposten, Missionsstationen, Kolonialverwaltung und Militär im Lande aufhielten. Fast parallel dazu entstanden, gefördert von lokalen Herrschern, die den großen Bedarf nach Bildern erkannten, mehrere Produktionszentren, in denen die jeweils regional unterschiedlichen Sitten und Gebräuche, aber auch Architektur und Natur des Subkontinents zu Papier gebracht wurden. Was sich hier so einfach liest, hat nicht nur eine wirtschaftliche Bedeutung, sondern auch eine politische Dimension: Die oft von den Briten eingesetzten lokalen Herrscher nahmen mit dem oft standardisierten Bildprogramm die Repräsentation „Indiens“ selbst in die Hand. Sie bestimmten das Bild von Indien, das man nach Europa brachte, mit.
Zu einem ganz besonderen Verkaufsschlager entwickelten sich die Malereien auf feinen, durchsichtigen und höchst zerbrechlichen Glimmerscheiben, die zumeist in kleinen Packungen zu erstehen waren.
In der chinesischen Handelsstadt Guangzhou (Kanton), bis 1847 der einzige Außenhandelshafen Chinas, und nach der erzwungenen Öffnung Chinas auch in Shanghai und anderen Orten, wurde ebenfalls eine ausschließlich für den Verkauf an Europäer bestimmte Malereiform praktiziert: die Malerei auf Papier aus dem Mark der Tsuso-Aralie, fälschlicherweise auch „Reispapier“ genannt. Auch hierbei handelt es sich um Bilder auf einem höchst zerbrechlichen Untergrund, auch sie geben „Land und Leute“ wieder. Wie die indischen Exportmalereien sind sie in der Regel nicht signiert, allerdings findet sich auf einigen von ihnen der Stempel des Hersteller- oder Verkaufsstudios. „Dem westlichen Geschmack in Farbigkeit und Thematik angepasst“, wie die Sinologin S. Knödel schreibt, und von der damaligen chinesischen Elite als „geschmacklos, bestenfalls aus ‚massentauglich‘“ angesehen, wurden die Bilder in Alben oder in Schmuckschachteln verkauft. Vielfach gaben die Maler Szenen oder Personen wieder, die sie nur von einer Vorlage her kannten, aber sie prägten damit entscheidend das Bild der Europäer von China und seiner Bevölkerung mit.
Mit dem massenhaften Aufkommen der Schwarzweiß-Fotografie endete Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts die Nachfrage nach diesen bunten Bildern. Europäische, nordamerikanische, russische, aber auch japanische Fotografen bestimmten in der Folgezeit die visuelle Repräsentation des Chinabildes in Europa/Amerika. Hier ein Beispiel aus dem Jahre 1914.
Literatur:
Kalka, Claudia und Uwe Haupenthal
2017 Alt, aber aktuell: Eine neu entdeckte Hoppesteijn-Fayence aus dem Delft des 17. Jahrhunderts im Husumer Nordfriesland Museum. In: Nordelbingen 86 (2017): Seite 45-64.
Knödel, Susanne
2018 A 293. Album mit Bildern auf Tsuso-Mark: Hochzeitszug. In: Kokott, Jeanette und Fumi Takayanagi (Hrsg.), Erste Dinge. Rückblick für Ausblick. Hamburg. MARKK. Seite 71-80.
Kossak, Steven
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Nilson, Laura Berivan
2015 Picturing the Unknown. Cultural Encounters and Visual Representations in Company Paintings from the eighteenth and nineteenth Centuries in south Indian Collections of the National Museum of Denmark. In: Tranquebar Initiativets Skriftserie 11. Abgerufen als pdf: https://en.natmus.dk/fileadmin/user_upload/natmus/forskning/dokumenter/Tranquebar/Skriftserie/11._Nilsson__Laura__2015__Picturing_the_Unknown.pdf
Williams, Ifan
2001 Views from the West. Chinese Pith Paper Paintings. In: Arts of Asia. The foremost international asian arts and antiquities magazine. Vol. 31,5 (2001): Seite: 140-149.
http://www.vam.ac.uk/content/articles/i/indian-company-paintings/
https://en.wikipedia.org/wiki/Company_style
https://www.metmuseum.org/toah/hd/cpin/hd_cpin.htm
https://libmma.contentdm.oclc.org/digital/collection/p15324coll10/id/12194
https://en.natmus.dk/historical-knowledge/historical-knowledge-the-world/asia/india/tranquebar/collections-in-the-national-museum-of-denmark/south-indian-company-paintings-c-1770-1850/
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https://de.wikipedia.org/wiki/Muskovit
https://www.mfah.org/art/detail/76348?returnUrl=%2Fart%2Fsearch%3Fshow%3D50%26artist%3DPublished%2Bby%2BCommunist%2BWorkers%2BParty%2Bof%2BGermany%257CManufactured%2Bby%2BKeystone%2BView%2BCompany%26page%3D4
Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf
Der Schwiegermutter einen Korb geben: Die Sprache der Körbe bei den Harari
Der vorgestellte Korb stammt von den in der äthiopischen Stadt Harar lebenden Harari. Die Stadt selbst liegt 525km östlich der Hauptstadt Addis Abeba und ist nicht nur eine der ältesten muslimischen Städte in Ostafrika, sondern war bis 1875 für mehr als 200 Jahre ein unabhängiger Stadtstaat und ein wichtiges innerafrikanisches Handelszentrum, das Europäern nicht zugänglich war. 1887 wurde Harar 1887 gewaltsam Teil des äthiopischen Königreiches. Die historische, von einer Mauer aus dem 16. Jahrhundert umgebene, 48 Hektar große Innenstadt (zum Vergleich: die Lübecker Innenstadtinsel misst 100 Hektar) ist seit 2006 UNESCO-Weltkulturerbe und wird von etwa 21.000 Personen bewohnt, die unterschiedlichen Ethnien angehören: Harari, Oromo, Gurage, Amhara und Somali. Den Harari gilt die Stadt, „ge“, als ihre traditionelle Heimat, in der sich ganz eigene kulturelle Traditionen entwickelten, die „ge ada“, die „Gebräuche der Stadt“. Die von den Frauen gefertigten „ge mot“, die „Körbe der Stadt“, sind neben den Silberschmiedearbeiten eines der wichtigsten – und berühmtesten – materiellen Kulturgüter dieser Stadt.
Bei Herstellung der Körbe, die in einer Art Wulsttechnik aufgebaut werden, kommen traditionell drei verschiedene Gräser zum Einsatz, die je nach ihrer Qualität unterschiedlich verwendet werden: als haltgebendes inneres Material, als Material, mit dem die Wülste fest zur jeweiligen Korbform vernäht werden oder als Material, mit dem die Wülste in komplizierten mehrfarbigen Mustern umschlungen werden. Es sind etwa 30 verschiedene Korbtypen bekannt, die von den Harari-Frauen hergestellt wurden. Davon war bei einer ethnologischen Untersuchung im Jahr 2003 etwa ein Drittel nur noch selten in Gebrauch oder als altes Exemplar in Privathäusern oder im Museum des Harari Cultural Center (Ada Gar) zu sehen. Um diesem Verfall zu begegnen haben engagierte Frauen ab 1995 drei Kooperativen (Guild) gegründet. Auch haben sich die Frauen neue Materialien wie Samt, Perlen oder Kunststoff erschlossen und neue Korbformen sind entstanden.
Die Herstellung und der Verkauf dieser und anderer Körbe, der in kleinen Läden oder Privathäuser und ausschließlich innerhalb der Stadt stattfindet, sichert den Frauen darüber hinaus ein nicht unerhebliches finanzielles Einkommen. Der hier vorgestellte Korb wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Sammlerin, die zwischen 1958 und 1998 in Äthiopien arbeitete und bis zu ihrem 90. Geburtstag das Land immer wieder besuchte, in einem dieser Geschäfte erstanden.
Die traditionellen Körbe unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Verwendung als alltäglicher Gebrauchsgegenstand oder als primär dekorativ bzw. zeremoniell genutzter Korb. Zu letzteren gehört auch der „hamat mot“, der „Schwiegermutter Korb“. Traditionell wird von einer jungverheirateten Frau erwartet, dass sie am Ende des ersten Ehejahres zwei dieser Körbe, die mit einem komplizierten Muster versehen sind, ihrer Schwiegermutter schenkt. Diesem Brauch wird auch heute noch nachgekommen, allerdings nehmen die jungen und einem Beruf nachgehenden Frauen in diesem Punkt bereits seit den 1970er Jahren das Angebot professioneller Korbherstellerinnen wahr oder lassen diese Körbe von Frauen aus ihrer Familie fertigen. Die Schwiegermutter hängt diese Körbe ihrerseits an eine speziell dafür vorgesehene Wand in ihrem Haus (siehe Hecht 1992:21). Hier hängen noch weitere Körbe, ihre Hängung folgt einem festgelegten Muster. Im Falle des Schwiegermutterkorbes kann ein kundiger Besucher nun mit einem Blick erkennen, ob und wie viele erwachsene Söhne und Schwiegertöchter die Frau des Hauses hat. Die Körbe hängen aber nicht nur an der Wand, sie werden bei speziellen rituellen Anlässen auch zum Servieren von Fladenbrot benutzt und kommen so als wortloses Zeugnis des guten Verhältnisses zwischen Schwiegermutter und -tochter zum Einsatz.
Literatur:
Asante Tarsitani, Belle
2005 Women’s craft Guilds and the traditional basketry (e mot) of Harar, Ethiopia. In: African Study Monographs, Suppl. 29: Seite 61-72.
2009 Revered Vessels. Custom and Innovation in Harari Basketry. In: African Arts, Spring 2009: Seite 64-75.
Hecht, Elisabeth-Dorothea
1992 Basketwork of Harar. In: African Study Monographs, Suppl. 18: Seite 1-39. Abgerufen als pdf: http://www.africa.kyoto-u.ac.jp/kiroku/asm_suppl/abstracts/pdf/Sup.18/S.18%81@Hecht.pdf
Zekaria, Ahmed
1999 Harari Basketry through the Eyes of Amina Ismael Sherif. In: Silverman, Raymond A. (Hg.) Ethiopia: Traditions of Creativity. Seattle. Seite 47-63.
https://nidfetibeb.wordpress.com/
https://www.thenextcanvas.com/about-ethiopian-art/
https://de.wikipedia.org/wiki/Harar
http://whc.unesco.org/en/list/1189
https://de.wikipedia.org/wiki/Lübecker_Altstadt
http://hararigcao.com/index.php/museums-2
Nordfriesland Museum. Nissenhaus Husum
Inventarnummer K 4712
Ein Nähkästchen plaudert: „Der einzig theuren gewidmet von ihrem unvergesslichen“
So steht es in feinen, goldenen Buchstaben auf der Innenseite des Deckels eines hohen, vierfüßigen und schwarzlackierten Nähtischchens zu lesen, das als Schenkung der Fielmann Stiftung in Husum aufbewahrt wird. Weiter ist zu lesen: „Japan 27. Novbr 1820“ sowie in etwas größerer Schrift: „Sievert“.
Damit ist Sievert Levsen gemeint, oder Sievert Lieves, wie er in niederländischen Akten geführt wird. Der 17 87 geborene Föhrer gilt als einer der ersten Japanfahrer seiner Region und betrat fast 175 Jahre nach dem ersten Schleswig-Holsteiner in Japan, nämlich Jürgen Andersen aus „Tundern“, japanischen Boden.
Zurück in Europa schrieb er einen Bericht über seine Reise und seinen Aufenthalt in Japan, aus dem im Folgenden zitiert wird. Dieser 1824 posthum veröffentlichte Bericht ist einer der wenigen Augenzeugenberichte, die vor der erzwungenen Öffnung Japans durch die Amerikaner im Jahre 1854 Europa mit Informationen über Japan versorgt haben.
Am 26. Juni 1819 verließ er als Kapitän der fast 35m langen Fregatte „Fortitudo“ den Hafen der belgischen Stadt Oostende in Richtung Batavia (Jakarta). Das Schiff transportierte nicht weiter genannte Waren und Soldaten. Nachdem das Schiff am 17.9.1819 auf hoher See eines der Steuerruder verloren hatten und die provisorischen Notruder nicht wirkungsvoll waren, liefen man nach sechs Wochen unter „Einschränkung der Ranzionen und Provisionen, so daß z.B. von Wasser einem Jeden nur ¾ Bouteille pro Tag zu Theil ward“„glücklich“ in Port Louis (Mauritius) ein. Sie reparierten das Schiff, verloren einen Matrosen an die dort grassierende Cholera und setzten ihre Fahrt am 8.1.1820 nach Batavia fort, wo Schiff und Mannschaft Mitte Februar ankamen. In den folgenden Monaten unternahm man „für Rechnung des Holländischen Gouvernements“ Fahrten entlang der javanischen Küste und bewarb sich „um die jährlich von den Holländern nach Japan zu machende Reise.“ Nach einer kritischen Inspektion wurde die Fortitudo zusammen mit dem Schiff „De nieuwe Zeelust“ „für gut befunden“. Ihr Weg nach Japan führte sie durch die Straße von Bangka und die von Taiwan. Sobald sie der japanischen Küste ansichtig wurden (22.7.1820), hissten sie am Top des Vormastes eine „geheime Signalflagge“, die ihnen der Gouverneur von Batavia in einem Kästchen mitgegeben hatte. Nach einem genauen Zeremoniell mit entsprechender Anzahl an Kanonenschüssen und nachdem gemäß der Instruktion aus Batavia „alle an Bord des Schiffes befindliche[n] Bücher religiösen Inhalts und andre Ornamente durch den Obersteuermann […] in ein Fäßchen gesperrt, und gut versiegelt“ [waren], wurden die weiterhin mit Kanonenschüssen grüßenden Schiffe von kleinen „Bugsirboten“ in und durch die Bucht von Nagasaki gelotst, wo sie am 24.7. ankerten. Etwa eine Stunde später übergab man den an Bord gekommenen Japanern das gesamte Pulver, die Munition, Gewehre, Pistolen und Säbel sowie das „Fäßchen mit religiösen Büchern“. Solange die Schiffe vor Nagasaki lagen, wurde die Mannschaft zweimal täglich von den Japanern kontrolliert und der holländische Vertreter von Nagasaki, der „Opperhoofd J.C. Blomhoff“, erschien in Begleitung des 1. Sekretärs des „Japanischen Gouvernements“ an Bord, um die Regeln vorlesen zu lassen, die anschließend in Form von Plakaten am großen Mast befestigt wurden. Auch wurden von den Japanern über Nacht die kleineren an Bord befindlichen Boote eingeholt, solange sich die Schiffe vor Nagasaki befanden. Erst Mitte Oktober begab sich das größtenteils mit Kupfer beladene Schiff zu seinem zweiten Ankerplatz und wartete auf die Abfahrt, die ihnen am 10. Dezember gewährt wurde.
Kurz zuvor hatte Sievert Levsen das Nähtischchen erstanden und nach seiner Vorlage mit Goldlack beschriften lassen. Das Nähtischchen mit seinem herabhängenden Tuchsack und dem ausklappbaren Nadelkissen wurde in aufwendiger Arbeit und ausschließlich als Souvenir gefertigt. Dabei vereinigen sich traditionelle ostasiatische Lacktechniken mit europäischen Formen und Mustern. Bei der Herstellung wurde die aus Papiermache und Holz bestehende Grundform nicht nur mit zahlreichen, einzeln aufgetragenen Schichten des mit Ruß geschwärzten, eingekochten Saftes des Lackbaumes bestrichen, sondern es wurden auch akkurat zugeschnittene Perlmuttstücke in den Lack eingelassen. Sie zeigen vor allem an den Seiten und unter dem Klappdeckel ein buntes Blumenmuster, während das zentrale Motiv auf der Deckelvorderseite ganz in Weiß und Gold gehalten ist. Es zeigt zwei möglicherweise sinkende oder vom Eis eingeschlossene europäische Segelschiffe.* Folgt man den Angaben des Staatlichen Museums für Japanische Geschichte, so führten die Lackwarenproduzenten aus dem chinesischen Canton (Guangzhou) und dem japanischen Nagasaki einen erbitterten Kampf um die europäischen Kunden, da die Chinesen preiswertere Waren im japanischen Stil anboten. Diese Konkurrenz führte dazu, dass sich die Japaner die ursprünglich aus China stammende Technik der Perlmutteinlage aneigneten. Sie wurde vor allem in Nagasaki angewandt, der einzigen Stadt Japans, die in der Shogun-Zeit Kontakt mit Europäern (=Niederländern) hatte, die ausschließlich auf der kleinen, künstlich vor Nagasaki errichteten Insel Dejima lebten.
Von Juni bis September 1821 unternimmt Levsen noch eine zweite Fahrt nach Japan. Diesmal hat er zwei Kamele, Geschenke des Holländischen Gouvernements an den „Kaiser von Japan“, den Shogun Tokugawa Iehari (1773-1841), an Bord.
Levsen stirbt im Herbst 1823 in Wyk infolge einer „durch Strapazen, Clima und Verdruß sich zugezogenen Krankheit“. Ein Bild von ihm und seiner Frau wird im Dr. Carl-Haeberlin Fresen Museum auf Föhr aufbewahrt und ist unter folgendem Link ansehbar:http://www.museen-nord.de/Objekt/DE-MUS-150714/lido/831.
*Leider war bis jetzt nicht Genaues zu den Schiffen herauszufinden. Schiffsdarstellungen auf Lack im Amsterdamer Reichsmuseum zeigen Seegefechte zwischen niederländischen und englischen Schiffen.
Literatur:
Guthrie, William
1843 A Geographical, Historical, an Commercial Grammar, En Miniature: Exhibiting the Present State of the World. London.
Impey, Oliver und Christiaan Jörg
2005 Japanese Export Lacquer 1580-1850. Amsterdam.
Jörg, Christiaano.J. Japanese Export Lacquer fort he Dutch Market. Abgerufen als pdf: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/icomoshefte/article/viewFile/21334/15107
Levsen, Sievert
1824 Einige Nachrichten von einer vierjährigen, mit dem Schiffe Fortitudo unter Commando des Schiffscapitains Sievert Levsen von Wyck auf der Insel Föhr gemachten Ostindischen und Japanischen Reise, insonderheit in Beziehung auf Japan. In: Staatsbürgerliches Magazin mit besonderer Rücksicht auf die Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Band 4, Heft 3/4. Schleswig. S. 493-508.
Lübker, Detlef L. und Hans Schröder
1829 Lexikon der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen und Eutinischen Schriftsteller, von 1796 bis 1828. Altona. S. 345. Abgerufen als Digitalisat: https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10070518_00373.html(15.1.2019).
Zacchi, Uwe
1986 Menschen von Föhr. Lebenswege aus drei Jahrhunderten. Heide. Seite: 20-25
https://www.mfa.org/collections/object/papenberg-no-12486-from-an-unidentified-series-of-japan-429080 (Postkarte von Papenberg)
http://www.marhisdata.nl/schip&id=13162(Schiffsdaten Fortitudo)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f5/Dutch_personnel_and_Japanese_women_watching_an_incoming_towed_Dutch_sailing_ship_at_Dejima_by_Kawahara_Keiga.jpg
https://nl.wikipedia.org/wiki/Jan_Cock_Blomhoff
https://en.wikipedia.org/wiki/Jan_Cock_Blomhoff#/media/File:Jan_Cock_Blomhoff_1.jpg(Japanischer Druck von Blomhoff 1817)
https://www.uchiyama.nl/ngjaartallen1nav.htm
https://en.wikipedia.org/wiki/VOC_Opperhoofden_in_Japan
https://wiki.samurai-archives.com/index.php?title=Camels
japanische Darstellungen der Kamele http://www.iisg.nl/exhibitions/japaneseprints/08.html
https://www.rekihaku.ac.jp/research/list/joint/2010/siebold/img/oc20150331/en/019.pdf
http://ajspeelman.com/details.php?sid=252
Gemälde Hafen Nagasaki u.a. mit der Darstellung einer Schiffeinfahrt, wie von Levsen geschildert:
https://www.rijksmuseum.nl/en/collection/NG-1190
https://www.rekihaku.ac.jp/english/outline/publication/rekihaku/165/witness.html
https://en.wikipedia.org/wiki/Dejima
http://www.asianart.org/regular/conservation-of-mother-of-pearl-lacquerware
der erste Schleswig-Holsteiner in Japan:
http://wolfgangmichel.web.fc2.com/publ/misc/1985/198501andersen.html
(alle Webseiten zuletzt abgerufen am 27.1.2019)
Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde
Inventarnummern: MA.24, MA.33, MA.34, MA.35
Ein Mann mit Blick für’s Detail auf der Suche nach „Ursprünglichkeit“
Ende des 19. Jahrhunderts, so schreibt der Kunsthistoriker Colin Rhodes, konnte man in Europa die Tendenz beobachten, dass sich progressive Künstler und Schriftsteller zunehmend für die heimische bäuerliche Kultur und Volkskunst, aber auch für mittelalterliche Kunst interessierten. Sie suchten nach „naiver Einfachheit“ einerseits und andererseits nach einer Zeit und einem Ort, von der/ von dem sie glaubten, dass es noch keine Unterscheidung zwischen „hoher und niedriger Kunst“ gab. Eine erste Station ihrer Suche war die Rückbesinnung auf „das Land“. Den französischen Maler Paul Gauguin zog es beispielsweise in die Bretagne: „Ich liebe die Bretagne,“ schrieb er 1888, „hier finde ich eine wilde, primitive Qualität.“ Der schottische Maler Duncan Grant zog zusammen mit der Malerin Vanessa Bell nach Sussex, Gabriele Münter und Wassily Kandinsky suchten das „gute und einfache Leben“ im bayerischen Murnau. Das Verlangen nach vermeintlich unentfremdeten Lebenszusammenhängen wuchs, der „Kult der ‚Ursprünglichkeit‘“ erblühte. Allein in Deutschland gab es 18 ländliche Künstlerkolonien, die bekanntesten sind zweifelsohne die in Worpswede, Ahrenshoop und Dachau. Aber auch Skagen (Dänemark) und Abramtsevo nördlich von Moskau (Russland) sind hier zu nennen. Erst später wandten sich die Künstler außereuropäischen Kulturen zu.
Auch der 1867 im Ortsteil Nolde des jetzt dänischen Kirchspiels Burkal geborene Emil Hansen, der sich ab 1902 Emil Nolde nannte und einer lutherischen Bauernfamilie entstammte, war auf der Suche nach dem „Ursprünglichen“. Wie andere Expressionisten auch suchte Nolde in den Werken und Kultgegenständen indigener Völker nach einer „unverfälschten Formensprache“. Er versuchte mit der reduzierten Form den intensivsten Ausdruck von Kraft und Leben zu finden. Dieses Streben nach dem Unmittelbaren, nach der „absoluten Ursprünglichkeit“ war für ihn generell ein wichtiges Element seiner künstlerischen Entwicklung und Bildfindung.
Bei einem Besuch der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 kam Nolde erstmalig mit außereuropäischer Kunst in direkten Kontakt. Zehn Jahre später vertiefte er diesen und setzte sich in seinen Zeichnungen von Museumsgegenständen ausgiebig mit afrikanischen, altamerikanischen, altägyptischen sowie ozeanischen und ostasiatischen Gegenständen auseinander.
Doch Nolde ging nicht nur in die Museen, er legte, ähnlich wie einige seiner Malerkollegen und -kolleginnen, selber eine Sammlung von Gegenständen an, die er in vielen seiner Stillleben verewigte. Diese Objekte stammen aus den verschiedensten Teilen der Welt (Afrika, Amerika, Ostasien, Südostasien, Melanesien, Polynesien) und gehen nur zum Teil auf seine eigenen Reisen zurück. Es sind aber auch europäische mittelalterliche Skulpturen und Schnitzereien europäischer Volkskunst darunter.
Jedes Stück dieser umfangreichen und relativ wenig bekannten Sammlung zeichnet sich durch etwas Besonderes aus, das dem künstlerischen Blick Noldes auffiel. In ihrer Gesamtheit und ihrer besonderen Zusammenstellung, die sich allein aus dem Blick des Künstlers erschließt, ist die Sammlung mehr als eine bloße Ansammlung „exotischer Gegenstände“ und „Kuriositäten“. Vielmehr gilt es, die vielfältigen Spielformen und Ebenen der in ihr enthaltenen „Exotik“ zu erkennen. So dürften z. B. die Objekte katholischer Volksfrömmigkeit für den protestantisch geprägten Norddeutschen in ihrer Andersartigkeit und ihrer naiven Ursprünglichkeit einen besonderen Reiz gehabt haben.
Die abgebildeten Figuren zeichnen sich durch kleine Besonderheiten aus, die erst auf den zweiten Blick sichtbar werden und sicherlich bereits Nolde faszinierten: Die kleine Figur des Johannes des Täufers hat drei Arme, die auf der Weltkugel stehende Maria Immaculata tritt mit ihren Fuß nicht - wie sonst üblich - auf die Schlange, das Kleidungsstück der Rosenkranzmadonna ist mit nur einem Ärmel versehen und die letzte der vorgestellten Madonnen scheint Volkstracht zu tragen. Die „Schwarze Madonna“ von Altötting, einem bekannten bayerischen Wallfahrtsort, fällt durch ihre für Marienfiguren ungewöhnliche dunkle Hautfarbe auf.
Quellen
Becker, Astrid
2019 persönliche Kommunikation. Ihr gilt auch großer Dank für die kritische Überarbeitung des kunsthistorischen Teils.
Fournée, J.
2015 Immaculata Conceptio. In: Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg, Darmstadt. Bd. 2, S. 338-344.
Jüngling, Kirsten
2017 Emil Nolde. Die Farben sind meine Noten. Berlin.
Lechner, M.
2015 Maria, Marienbild. In: Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg, Darmstadt. Bd. 3,
S. 154-210.
Lloyd, Jill
2002 Emil Noldes Kritik am Kolonialismus. In: Moeller, Magdalena M. (Hrsg.), Emil Nolde. Expedition in die Südsee. München. Brücke-Archiv 20 (2002): 103-115.
Müller, Karsten (Hrsg.)
2012 Emil Nolde. Puppen, Masken und Idole. Ausstellungs-Katalog Ernst-Barlach-Museum Hamburg.
Nolde, Emil
1934 Jahre der Kämpfe. 1902–1914, Berlin 1934, 2., überarb. Aufl. Flensburg 1958, 7. Aufl. Köln 2002.
1965 Welt und Heimat. Die Südseereise 1913 – 1918, geschrieben 1936. Köln.
Rhodes, Colin
1994 Primitivism and Modern Art. London.
Ring, Christian
2014 Emil Nolde. Die absolute Ursprünglichkeit. 58. Jahresausstellung, Ausst.-Kat. Nolde Stiftung Seebüll, Neukirchen.
Weis, E.
2015 Johannes der Täufer. In: Lexikon der christlichen Ikonographie, Freiburg, Darmstadt. Bd. 7.,
S. 164-190.
https://de.wikipedia.org/wiki/Künstlerkolonie_Dachau
https://de.wikipedia.org/wiki/Bloomsbury_Group
http://www.abramtsevo.net/eng/guidway/aboutmuseum.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Künstlerkolonie
https://www.lenbachhaus.de/sammlung/der-blaue-reiter/muenter/
http://www.demetz-patrick.com/de/geschenke-zur-taufe-69/hl-johannes-der-taeufer-3713.html
https://www.hampel-auctions.com/a/Schnitzfigur-der-Schwarzen-Madonna-von-Altoetting.html?a=76&s=159&id=72296
(Alle zitierten Internetseiten wurden zuletzt abgerufen am 23.1.2019)
Fotos: Nolde Stiftung Seebüll/ Dirk Dunkelberg, Berlin
Pinneberg Museum
Inventarnummer o.Nr. 31a,b
Upcycling für Touristen
Der Begriff „Upcycling“, der 1994 von dem Ingenieur Reiner Pilz geprägt wurde und das Umwandeln von „Abfallprodukten oder (scheinbar) nutzlosen Stoffen in neuwertige Produkte“ bezeichnet, ist derzeit in aller Munde. So könnte man auch das Umwandeln eines abgeworfenen Rentiergeweihs zu einer Messerscheide als „Upcycling“ bezeichnen, auch wenn es vor knapp 100 Jahren stattfand .
Die Scheide und das dazu gehörige Messer stammen von dem skandinavischen Volk der Sami, damals nach unter der Bezeichnung „Lappen“ bekannt, und wurden von Johannes Görbing (1877 - 1946) von einer Nordlandfahrt mitgebacht, die er zusammen mit seiner Frau unternommen hatte. Das genaue Datum der Reise ist derzeit noch unbekannt, dürfte aber nach 1925, also nach dem Wiedereinsetzen der Skandinavien-Kreuzfahrten nach dem Ersten Weltkrieg und vermutlich vor Beginn des Zweiten Weltkrieges stattgefunden haben. Die Linie Hamburg-Süd z.B. bot „preiswerte“ und „volkstümliche“ Nordlandreisen entlang der norwegischen Küste an, bei denen auch die Stadt Tromsø angelaufen wurde. So genannte „Lappenlager“ in der Nähe Stadt waren beliebte Ausflugsziele: „Vormittags Sehenswürdigkeiten im Tromsoe, nachmittags Besuch des Lappenlagers in Tromsdal auf dem gegenüberliegenden Festlande“, schreibt der Schweizer Elias Haffterin seinen „Briefen aus dem Hohen Norden“ aus dem Jahre 1900, die er auf seiner Reise im Sommer 1899 an die Thurgauer Zeitung schickte. Er führt weiter aus: „Das von uns besuchte Lappenlager zählt circa 10 associierte Familien, zu welchen Rentierherden von insgesamt 3000 Stück gehören.“ Damit die Touristen allerdings die Rentiere zu Gesicht bekommen konnten, mussten sie erst zusammengetrieben werden. „So auch heute, wo die Touristenfirma Beyer durch eine Extraauslage von 50 Mark auf nachmittags 4 Uhr einige hundert Rentiere durch die lappischen Besitzer ins Lager schaffen ließ, um den auf jenen Zeitpunkt beorderten Passagieren der ‚Auguste Victoria‘ ein möglichst buntes und lebendiges Bild darbieten zu können.“ Und: „Wir näherten uns den kegelförmigen Stein- und Lehmhütten (Gammen genannt), aus welchen ein bläuliches Räuchlein zum Himmel stieg. Alsbald kamen ihre Insassen uns entgegengelaufen, die Hände voller Verkaufsgegenstände verschiedenster Art, aber alle vom Rentier stammend: Felle, Geweihe; Löffel, Messer, aus Knochen und Gehörn gearbeitet und mit naiver Kunst verziert, bunte Puppen aus Fellen und Läppchen [...].“
Bei dem besuchten Lager handelte es sich um eine temporäre Niederlassung von Teilen der nomadisch lebenden, schwedischen Könkämävuoma Sámi, die traditionell etwa ab Juni mit ihren Tieren hierher auf die Sommerweide kamen. Ab den 1870er Jahren wurde das Lager von den Tromsoern als Ausflugsziel entdeckt, 1879 vergab der Baedecker der Stadt Tromsø einen Stern aufgrund des benachbarten „Lappenlagers“, ab den 1880er Jahren bot das englische Reiseunternehmen Thomas Cook & Sohn organisierte Touren nach Tromsdal an. Sehr viel anders dürfte es bei der Nordlandreise von Johannes Görbing auch nicht zugegangen sein, auch wenn nicht ganz klar ist, von welchem Ort genau er das Messer mitbrachte, denn bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden weitere Sommerlager ‚modern‘, wie zum Beispiel das in im weiter nördlich gelegenen Lyngseidet. Auch heute noch werden Touristen ähnliche Touren angeboten, wie ein aktuelles Beispiel aus der Beschreibung eines Reiseveranstalters für Tromsø zeigt: „Interessieren Sie sich für das Leben der Samifamilien und deren Traditionen, haben Sie die Möglichkeit, einen Ausflug zu buchen (optional zubuchbar). Bei einem Lagerfeuer im Zelt, dem Lavvu, lauschen Sie den Geschichten der Familie und im Anschluss besuchen Sie deren Rentierherde. Die Rentiere sind sehr zahm und an Menschen gewöhnt.“
Zunehmend haben die Sami ihre „Vermarktung“ selbst in die Hand genommen und bieten in z.B. in Tromsø während der Wintersaison täglich ab 10 Uhr unterschiedliche Tagestouren an, die man vorab im Internet buchen kann.
Auch heute noch kann man Sami-Messer aus Rengeweih erwerben. Ein wichtiger Unterschied besteht allerdings in der Form der Scheiden, die heute mehr den traditionellen schlichten Formen ähneln, wie sie für den Eigengebrauch produziert wurden und werden, und nicht in einem vollständigen, dem täglichen Gebrauch eher abträglich sperrigen Geweih enden. Dies ist sicherlich auch auf das ab den 1970er und 1980er Jahren erstarkende Selbstbewusstsein der Sami und ihre „kulturelle Renaissance“ zurückzuführen. Die damals jungen Leute begannen u.a. „Sami duodji“, Sami Handwerk, Ästhetik und Design wiederzuentdecken und verlorengeglaubte Traditionen wiederzuerwecken.
Erstaunlich ist, dass obwohl es zu Görbings Zeiten vermutlich viele Messer dieser Art gegeben hat, anscheinend nur wenige davon in Museen gelangt sind.
Literatur:
Baglo, Cathrine
2015 Reconstruction as trope of cultural display. Rethinking the role of “living exhibitions”. In: Nordisk Museologi 2015, 2, Seite 49 – 68. Abgerufen als pdf:
https://munin.uit.no/bitstream/handle/10037/8604/article.pdf?sequence=5&isAllowed=y
Haffter, Elias
1900 Briefe aus dem Hohen Norden: eine Fahrt nach Spitzbergen mit dem HAPAG-Dampfer "Auguste Viktoria" im Juli 1899. Frauenfeld. Kapitel XI. Abgerufen unter: http://doctrinepublishing.com/showbook.php?file=67182-0000.txt(11.1.2019)
Spring, Ulrike
2016 Arctic and European In-Betweens: The Production of Tourist Spaces in Late Nineteenth Century North Norway. In: Hill, Kate (Hrsg.), Britain and the Narration of Travel in the Nineteenth Century. Texts, Images, Objects. London. Seite 13-36.
https://de.wikipedia.org/wiki/Upcycling
https://de.wikipedia.org/wiki/Ren
https://de.wikipedia.org/wiki/Samen_(Volk)
https://www.bloomberg.com/news/articles/2018-06-27/reindeer-ignoring-borders-has-norway-locking-antlers-with-sweden
https://www.laits.utexas.edu/sami/diehtu/siida/herding/herding-sw.htm
http://reindeerherding.org/herders/sami-norway/
https://ww2.dsm.museum/Nordlandreise_info.pdf
https://tromsoarcticreindeer.com/
https://tromsoarcticreindeer.com/our-story/
https://tromsoarcticreindeer.com/tour-item/package-3/
http://www.inga-sami-siida.no/?utm_source=visitnorway.de&utm_medium=listing&utm_content=visit-website-link
http://sapmi.uit.no/sapmi/ExhibitionContainer.do?title=Introrom&category=Intro
https://de.wikipedia.org/wiki/Tromsø
http://www.reuber-norwegen.de/FramesTromsoe.html
https://www.ebay.ca/sch/i.html?_sacat=0&_nkw=sami+norway&_frs=1
https://nordicwannabe.com/2017/07/erfahrungen-aida-selection-reise-kreuzfahrt-norwegen/
https://www.holidaycheck.at/foren/kreuzfahrten-68/nordkap-ausflug-auf-eigene-faust--70081?page=3
https://www.nordlandreisen.com/aktuelle-angebote/
http://www.tgss.no/produkter/#samisk-hndverk
http://sameslojd.tictail.com/
https://wiki.aineetonkulttuuriperinto.fi/wiki/Sami_handicrafts_tradition
Sylter Heimatmuseum
Inventarnummer: 2015-166
Aus Näglein gesteckt – Eine Dose aus Gewürznelken
Den meisten ist das Wiegenlied „Guten Abend, Gute Nacht“ bekannt. Bei den vielbesungenen „Näglein“ in diesem Lied handelt es sich um die getrockneten Knospen des Gewürznelkenbaumes (Syzygium aromaticum). Nur wenigen dürfte geläufig sein, dass diese „Näglein“ nicht nur als Gewürze dienten, sondern dass daraus auch Kunstwerke geschaffen wurden, wie das folgende Beispiel aus dem Sylter Heimatmuseum zeigt.
Die Urheberrechte dieses Bildes liegen bei den Sölring Museen
Dicht an dicht wurden die frischen Knospen des Gewürznelkenbaumes auf schmale Palmblattspreiten (?) aufgezogen, die dickeren Köpfchen jeweils neben das schmalere Knospenende gelegt. So entstanden kleine, dichte „Stränge“, die anschließend mit Pflanzenfasern zu einer kleinen, 5 cm hohen und 15 cm langen, ovalen Deckeldose zusammengenäht wurden.
Die Dose verströmt immer noch einen Gewürznelkenduft. Sie wurde aller Wahrscheinlichkeit nach auf der indonesischen Insel Ambon gefertigt – und war ausschließlich für den Verkauf an die Europäer gedacht. Die 775 qkm große Insel in den Molukken (zum Vergleich: Schleswig-Holstein misst ca. 15.800 qkm groß) war bis zum 19. Jahrhundert weltweit dasZentrum für den Anbau von Gewürznelkenbäumen und Schauplatz zahlreicher blutiger Auseinandersetzungen zwischen indigenen Völkern auf der einen und den Kolonialmächten Portugal, Niederlande und Großbritannien und deren jeweiligen indigenen Verbündeten auf der anderen Seite. Ziel der Europäer war, das Monopol im Nelkenhandel zu erlangen, das ursprünglich beim Sultanat von Ternate lag, zu dem Ambon damals gehörte. Lange Zeit hatte die Niederländische Ostindien-Kompagnie dieses Monopol inne. Dies hatte sie u.a. dadurch erreicht, dass sie alle Gewürznelkenbäume außerhalb der Insel und dreier kleinerer Nachbarinseln fällen ließ. Außerdem verhängten die Niederländer die Todesstrafe für die Ausfuhr von Jungpflanzen. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden jährlich bis zu 2 Millionen Pfund Gewürznelken exportiert. Die Kompagnie zahlte den Produzenten maximal 25 Cent pro Pfund und verkaufte die Nelken in Europa und Asien zu einem Preis von drei bis vier Gulden das Pfund. 1769/70, knapp 20 Jahre vor der Auflösung der Niederländischen Ostindien-Kompagnie, gelang es allerdings dem französischen Missionar und Gartenbaufachmann Pierre Poivre, fünf Jungpflanzen erfolgreich außer Landes zu schmuggeln. Eine davon überlebte – und dies ist unklar – auf Mauritius oder La Reunion, von wo aus ihre Nachkommen etwa um 1818 in Sansibar und vermutlich zwei Jahre später auf Madagaskar angepflanzt wurden. Aber auch heute noch ist Indonesien der Hauptexporteur von Gewürznelken.
Ebenfalls im 19. Jahrhundert begann man auf Ambon, verschiedenartige, kleinere oder größere Gebilde aus frischen Gewürznelken herzustellen: Es entstanden vollständige Kaffeeservice, Boote mit Besatzung, Hausmodelle, Schalen, Blumenkörbe, Tintengefäße, Stiftehalter, Vasen und Dosen von jeglicher Form. Dieses Kunsthandwerk wird auch heute noch betrieben. Und während die Produkte ursprünglich ausschließlich für den Verkauf an die Kolonialherren gedacht waren, zieren einige dieser Gegenstände heute die Haushalte in Ambon selbst oder sind im Museum Siwalima auf Ambon ausgestellt.
In Europa hat man mit den getrockneten und harten Nelken ebenfalls dreidimensionale Werke geschaffen. Besonders hervorzuheben ist hier die Tradition der Gewürzsträuße, die im Raum Salzburg noch heute gepflegt wird. Aber auch Kruzifixe aus Nelken sind entstanden.
Übrigens: im Haus der Natur in Cismar ist eine Holzkiste mit Geheimfach ausgestellt, die zum Transport von Gewürznelken aus Sansibar diente.
Literatur:
Knaap, Gerrit J.
1992 Crisis and failure: War and revolt in the Ambon Islands, 1636-1637. In: Cakalele, Vol. 3 (1992): 1-26. Abgerufen als pdf: https://scholarspace.manoa.hawaii.edu/bitstream/10125/4124/6/UHM.CSEAS.Cakalele.v3.Knaap.pdf
2003 Headhunting, carnage and armed peace in Amboina, 1500-1700. In.: JESHO 46,2 (2003): 165-192. Abgerufen als pdf: thedutchgoldenage.nl/onewebmedia/HEADHUNTING,%20CARNAGE%20AND%20ARMED%20PEACE%20IN%20AMBOINA,%201500-1700.pdf
Bandara, Sujeewa
2016 Writing memoirs in the mid-eighteenth century- A comparative study in Ambon and Sri Lanka. MA Thesis, University of Leiden. Abgerufen als pdf: https://openaccess.leidenuniv.nl/bitstream/handle/1887/44538/Sujeewa%20Bandara%20MA%20thesis.pdf?sequence=1
https://nl.wikipedia.org/wiki/Kruidnagel
https://global.rakuten.com/en/store/jita-collection/item/10000363/
https://www.zeit.de/kultur/musik/2009-12/wiegenlieder-folge-6
Kruzifix: https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/kunst-und-krempel/schatzkammer/religioese-volkskunst/kunst-krempel-salzburger-kreuz-102.html
http://www.blumenschloessl.com/gewuerzbinderei/
http://masterpieces.asemus.museum/stories/view.nhn?id=107&idx=11
https://de.wikipedia.org/wiki/Ambon_(Insel)
https://en.wikipedia.org/wiki/Spice_trade
https://en.wikipedia.org/wiki/Ambonese
https://en.wikipedia.org/wiki/Sultanate_of_Ternate
https://de.wikipedia.org/wiki/Ternate
https://en.wikipedia.org/wiki/Amboyna_massacre
https://www.vocsite.nl/geschiedenis/handelsposten/amboina.html
https://www.ako-spice.com/nelken-pierre-poivres-erbe/
https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Poivre
http://www.voc-kenniscentrum.nl/prod-kruidnagelen.html
https://www.jstor.org/stable/4255387?seq=1#page_scan_tab_contents
https://www.indexbox.io/blog/which-country-produces-the-most-cloves-in-the-world/
https://www.abc.net.au/news/rural/2015-03-10/indonesias-growing-clove-empire/6042020
http://v2.garudamagazine.com/whatson.php?cat=travel&id=441
http://siwalima.cthai.net/cloves.html
Dat Ole Hus - Aukrug
Inventarnummer o.Nr. 3
Ein „Belgischer Brocken“
7 cm hoch, 4 cm breit und 3 cm tief ist der kleine, abgenutzte gelbliche Stein. Er liegt in einem Kasten, der am Unterende eines 86 cm langen und 11 cm breiten Brettes angebracht ist. Das Brett hat am Oberende ein Loch, an dem das Brett an einer Wand aufgehängt werden konnte, darunter ist es mit Leder bezogen. Der Kasten hat einen Schiebedeckel, der sich nach oben aufziehen lässt.
Dank des Hinweises eines engagierten Mitgliedes des Museumsvereines kann der äußerlich eher unscheinbare Stein nun als etwas Besonderes und in seiner Art weltweit Einzigartiges identifiziert werden: als „Coticule“, ein Gestein, das vor etwa 480 Millionen Jahren entstanden ist unddas augenscheinlich nur in den belgischen Ardennen um die Orte Vielsalm, Bihain und Lierneux vorkommt. Es hat einzigartige Eigenschaften im Hinblick auf das Schärfen von Eisen, die schon früh erkannt wurden. Aus dem Jahr 1530 sind Abgabezahlungen von Steinbrucharbeitern an die Grafen von Salm belegt (Goemaere, Declercq 2012: 122), 1625 wurden jährlich große Mengen der Steine auf die Messe in Frankfurt und in der Handelsstadt Venedig transportiert (Gaspar 1975: 3), augenscheinlich unter Beteiligung von armenischen Kaufleuten (Goemare, Declercq 2012: 122). 1770 ist der Stein bereits unter dem Namen „pierre à rasoir“, Schleifstein für Rasiermesser, bekannt und sechs Jahre später wird berichtet, dass er in allen Ländern Europas, in Asien und in den Kolonien in Amerika Verwendung fand (Gaspar 1975: 3,4). Die abgebaute Menge war dementsprechend groß: Ein Inventar aus dem Jahr 1862 gibt für den Haushalt des Jean-Nicolas Laplume aus Salm-Château 35.110 Steine, verpackt in Kisten oder Gebinden, an sowie weitere 9 Schütthaufen mit Steinen unbestimmter Anzahl (http://vielsalm.blogspot.com/2009/11/salmchateau.html). Insgesamt gab es in der Region um Vielsalm etwa 30 Abbaubetriebe, in denen der Stein zunächst oberirdisch, im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts dann unterirdisch in 150 bis 450 m langen und 60 bis 79 m tiefen, in den Stein gehauen Galerien gewonnen wurde (Devleeschouwer et al. 2006: 135, 139; Goemaere, Declercq 2012: 122).
Die derart gewonnenen Steine wurden in der Regel in größeren Blöcken geborgen und anschließend in aufwändiger Handarbeit in verschiedene Handelsformate gebracht, den „Rasierstein“ zum Beispiel oder den „Belgischen Brocken“, „bout belge“, die sich in Länge, Form und Qualität unterschieden. Die Steine wurden in verschiedenen rechteckigen Standardgrößen geliefert, je nach Größe zwischen 4 und 12 Daumen Länge. Damit konnte alles vom Skalpell bis zum großen Messer geschliffen werden. Die unregelmäßig geformte Variante wurde als „Belgischen Brocken“ verkauft.
Im Zuge der Industrialisierung veränderte sich auch die Produktion der Abziehsteine: Wurde der Stein zunächst in Familienbetrieben abgebaut und für den Verkauf bearbeitet, verdrängten später die größeren Werkstätten, in denen Frauen, Heranwachsende und Kinder arbeiteten, die kleineren Manufakturen. Vielfältige Formen der Lohn- und Heimarbeit entstanden. Später wurden die Arbeiterinnen und Arbeiter durch Maschinen ersetzt.
Mit Ende des Zweiten Weltkrieges brach die Käuferklientel weg, elektrische Rasierer, Einwegrasierer und andere, preiswertere Schleifsteine wie der Arkansasstein machten dem belgischen Stein Konkurrenz. 1980 endete der Abbau, 1983 wurde in einer alten Werkstatt das „Musée du coticule“ in Salm-Château eröffnet. Aber bereits zwei Jahre später wurde in einer Manufaktur in Lierneux der Betrieb wiederaufgenommen und bis heute werden dort „Belgische Brocken“ produziert, deren Qualität messerschärfende Männer in Internetforen begeistert.
Literatur:
Devleeschouwer, Xavier, Eric Goemaere und Cyril Mullard
2006 Les carrières souterrannes abandonnées d’ardoise et de coticule à vielsalm et Bertrix. In: Géologie de la France no.1-2 (2006) 135-146. Abgerufen als pdf:http://geolfrance.brgm.fr/sites/default/files/upload/documents/gf22-1-2006.pdf
Gaspar, Charles
1975 L’industrie de la pierre à rasoir dans la région de Sart-Lierneux. Extrait de Enquetes du Musée de la Vie Wallone, Tome XIV, No. 157-160. Abgerufen als pdf: http://www.coticule.be/heritage.html?file=tl_files/PDF%20articles/Coticule_Translated.pdf
Goemaere, Eric, Pierre-Yves Declercq
2012 Le „coticule“ de Vielsalms et Lierneux 8belgique): Une pierre à aiguiser au passé mondial. In: Anales de Societe Du Géologie du Nord, Tome 19 (2eme serie), Seite 117-131. Abgerufen als pdf: https://www.researchgate.net/profile/Alain_Blieck/publication/292952596_Regional_geosciences_of_France_and_neighboring_countries_-_GEOREG/links/56b1fb7508ae795dd5c7914f.pdf#page=111
Grogna, Joseph
1984 Les roches salmiennes a coticule dans la region des Salmchateau. Service geologique des belgique, Professional Paper 1984/2 No. 206. Angerufen als pdf:
http://biblio.naturalsciences.be/rbins-publications/professional-papers-of-the-geological-survey-of-belgium/pdfs/pp_1984_2_206-kl.pdf
http://museeducoticule.wixsite.com/musee-du-coticule
http://www.coticule.be/
http://vielsalm.blogspot.com/2009/11/salmchateau.html
http://walloniebelgietoerisme.be/nl/produit/attractions/activites/industrieel-erfgoed/museum-van-de-coticula/10895
https://www.ardennes-coticule.be/en/companys-history
https://www.researchgate.net/publication/267850383_Management_of_abandoned_slate_and_coticule_underground_quarries_by_means_of_GIS_Vielsalm_Belgium
https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID=121&url_tabelle=tab_websegmente
https://www.geosoc.fr/vmfiles/GEOL154.pdf
https://link.springer.com/article/10.1007/BF00399600
https://de.wikipedia.org/wiki/Ordovizium
https://fr.wikipedia.org/wiki/Maison_de_Salm
https://www.messerforum.net/showthread.php?130883-Mittelfein-bis-finish-Belgische-Brocken-oder-synthetische-Steine
https://www.gut-rasiert.de/forum/index.php?topic=19244.0
https://de.wikipedia.org/wiki/Novaculit
Fotos historischer Galerien: http://tchorski.morkitu.org/1/coticule.htm
Film: https://www.youtube.com/watch?v=wEcOauB-WZs(3:25 Minuten)
Medizin- und Pharmaziehistorische Sammlung der Universität, Inv.Nr.: 1987-002-279
„Doctor’s Lady“ – oder: Wie man mit dem richtigen Namen bessere Geschäfte macht
In der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel befindet sich die kleine Elfenbeinfigur einer nackten Frau. Ihren Weg in die Sammlung fand die Figur als „Doctor’s Lady“. Dieser Begriff hat sich ebenso wie die Bezeichnung „chinese medicine doll“ im Kunsthandel etabliert.
Beide Namen bezeichnen eine kleine Figur einer nackten, wohl frisierten Frau, die im Kieler Fall auf der rechten Seite liegt und den Kopf mit der rechten Hand abstützt. Ihr linker Unterarm liegt unterhalb der Brüste; sie trägt Ohrringe und an jedem Handgelenk einen Armreif. Das linke Bein liegt über dem leicht angewinkelten rechten Bein. Sie trägt Schuhe; Haare und Augen sind schwarz. Die Figur liegt lose auf einem Ständer mit nach innen eingerollten Füßen. Dreht man die Figur auf den Bauch, so sieht man eine Frau im Rückenakt, sie hält ihre rechte Hand am Hinterkopf und hat den linken Unterschenkel beinahe neckisch erhoben.
Angeblich sollen Figuren dieser Art „im alten China“ dazu gedient haben, dass kranke Frauen den Ärzten die schmerzenden Stellen zeigen konnten, ohne sich entkleiden zu müssen. Dabei konnte die Erkrankte entweder eine derartige Figur dem Arzt per Boten zukommen lassen oder der Arzt führte eine entsprechende Figur mit sich, wie Howard Dittrick 1952 in seinem Aufsatz im Bulletin of the History of Medicine konstatiert. Als Informantin für diese Aussage führt er eine namenlose chinesische Krankenschwester an. Ferner zitiert er in seinem kurzen Aufsatz kanadische und englische Sinologen, die seine These bestätigen. Lediglich der einzige chinesischstämmige Experte unter ihnen widerspricht: Derartige Figuren seien nach dem 17. Jahrhundert entstanden um dem Geschmack der Europäer entgegenzukommen, „to suit the taste of Western customers“. Dieser Gedanke ist es wert weiter verfolgt zu werden.
Viele ähnliche Figuren, die im Handel oder in Sammlungen vorhandenen sind, wurden zwischen dem 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts hergestellt. Ältere Figuren scheinen dagegen relativ selten zu sein. Eine davon ist im Beitrag von Kristin Beattie abgebildet. Figur 3 ihres Aufsatzes zeigt eine gegen Ende der Ming-Dynastie (1368-1644) gefertigte Elfenbeinfigur, die auf erstaunliche Weise der Kieler Frauenfigur ähnelt. Allerdings ist die Frau bekleidet. Sieht man genauer hin, merkt man, dass ihr Obergewand über der Brust leicht geöffnet ist, so dass die linke Brustwarze frei liegt. Die Figur trägt eindeutig erotische Züge. Allem Anschein nach lebte ein Teil der chinesischen Gesellschaft im 17. Jahrhundert eine offenere Erotik als es damals in Europa üblich war, wie z. B. den freizügigen Illustrationen des erotischen Werkes „Jin Ping Mei“ zu entnehmen ist. Derartige Darstellungen scheinen die Europäer fasziniert zu haben und wir wissen, dass sie schon frühzeitig erotische Abbildungen mit nach Hause brachten.
Doch betrachten wir die Kieler Figur noch einmal genauer: Die Frau trägt, wie die anderen „Doctor’s Ladies“, Schuhe und Schmuck. Die im Vergleich zum Körper sehr kleinen Schuhe/Füße lassen darauf schließen, dass hier eine Han-Chinesin mit so genannten Lotos- oder Lilienfüßen dargestellt ist. Kleine Frauenfüße waren bei den Han ein Schönheitsideal und galten als erotisch. Das Füßebinden war eine langwierige und schmerzhafte Prozedur. Es beinhaltete eine Deformation der Füße, bei dem die Zehen unter den Ballen gebogen wurden und der Mittelfuß so hochgekrümmt wurde, dass der Fußballen an der Ferse zu liegen kam. Als Folge davon konnten die betroffenen Frauen, die zumeist der Oberschicht angehörten, sich nur noch unter großen Schmerzen und in kleinen trippelnden Schritten fortbewegen. „Der kleinschrittige Gang […]wurde von chinesischen Dichtern und Poeten als erotisch beschrieben und die kleinen Füße häufig als der erotischste Teil des weiblichen Körpers wahrgenommen“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Füßebinden_(China)). Kristin Beattie zeigt in ihrem Aufsatz auch auf, dass im alten China das Bett eng mit der Sphäre der Frauen verbunden war und dass die Darstellung einer ruhenden Frau dem chinesischen Begriff von Weiblichkeit in der Oberschicht schlechthin entsprach - quasi analog zu der deutschen Zuschreibung der sozialen Frauenrolle zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit „Kinder, Küche, Kirche“. Die kleine Kieler Figur weist also außer ihrer Nacktheit auch noch andere Züge auf, die eindeutig erotischen Charakters sind.
Vergleicht man nun die Ming-Figur mit der aus Kiel, zeigt sich, dass die dargestellten Frauen im Laufe der mindestens 250 Jahre, die zwischen ihrer Herstellung liegen, nicht nur ihre Kleidung verloren haben. Ihre Darstellung hat sich auch von eher subtiler zu offener Erotik gewandelt. Dies kann damit zusammenhängen, dass die mingzeitliche Figur wohl eher für den chinesischen Eigenbedarf hergestellt wurde, während die Gestaltung der Kieler Figur mit der stärkeren Frequentierung chinesischer Häfen durch europäische Seeleute und ihrem Geschmack zusammenhängen könnte. Denn nach dem Ersten Opiumkrieg (1839-1842) hatten die Engländer fünf so genannte Vertragshäfen erzwungen. Die mit den Seeleuten nach Europa und Nordamerika gebrachten Figuren nackter Frauen gelangten nach und nach in Museen, Privatsammlungen und in den Kunsthandel. Und dort fanden sie unter der Bezeichnung „doctor’s lady“ sicherlich deutlich einfacher Platz und verkauften sich besser als unter dem Begriff „nackte Frauenfigur“. Dies ändert sich seit ein paar Jahren - auch hier sicherlich in Abhängigkeit von dem liberaleren Zeitgeist und der Seriosität des Handelshauses. Im Augenblick bestehen jedenfalls auffällige Diskrepanzen in der Benennung zwischen europäischen und eher prüden US-amerikanischen Händlern.
Literatur:
Beattie, Kristin, 2012, A Study of a Ming Dynasty Pillow; V & A Online Journal, Issue No. 4, Summer 2012; abgerufen unter: http://www.vam.ac.uk/content/journals/research-journal/issue-no.-4-summer-2012/a-study-of-a-ming-dynasty-ceramic-pillow/ (Figure 3) ; letzter Abruf 20.9.2018.
Bertholet, Ferry M., 2010, Concubines and Courtesans: Women in Chinese Erotic Art. Ferry M. Bertholet Collection. Brussels: Mercatorfonds, Seite 108-110.
Dittrick, Howard, 1952, Chinese Medicine Dolls. In: Bulletin oft he History of Medicine, vo. 26, Jan 1, Seite 422-429.
Harrison-Hall, Jessica, 2017, China. A History in Objects. London. Seite 285, 297, 315.
Kalka, Claudia und Uwe Haupenthal, 2017, Alt, aber aktuell: Eine neu entdeckte Hoppesteijn-Fayence aus dem Delft des 17. Jahrhunderts im Husumer Nordfriesland Museum. In: Nordelbingen, Band 86, Seite 54.
Unschuld, Paul U., 2013, Traditionelle Chinesische Medizin. München.
http://jamescahill.info/illustrated-writings/chinese-erotic-painting/chapter-5; letzter Aufruf 20.9.2018.
https://en.wikipedia.org/wiki/Jin_Ping_Mei; letzter Aufruf 20.9.2018.
https://www.mohma.org/instruments/category/misc_diagnostic/; letzter Abruf 20.9.2018.
https://de.wikipedia.org/wiki/Füßebinden_(China); letzter Abruf 20.9.2018.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kinder,_Küche,_Kirche; letzter Abruf 20.9.2018.
https://wellcomecollection.org/works?query=chinese+medicine+doll; letzter Abruf 20.9.2018.
https://www.zacke.at/de/sammlung/16827/auktion-kunst-aus-asien-2015/eintrag/16877/doctors-lady; letzter Abruf 20.9.2018.
https://en.wikipedia.org/wiki/Canton_System; letzter Abruf 20.9.2018.
https://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Opiumkrieg; letzter Aufruf 20.9.2018.
http://chineseart.co.uk/tag/chinese-doctors-model/; letzter Aufruf 20.9.2018.
http://www.benjanssens.com/portfolio/ivory-erotic-figure-of-a-lady/; letzter Aufruf 20.9.2018.
https://www.skinnerinc.com/search?s=Doll+Reclining; letzter Aufruf 20.9.2018.
Heimatmuseum Hohenweststedt (Inventarnummer AB 3049)
Ein ziemlich schräger Vogel
Ein wenig nach vorne geneigt, mit vorgestrecktem, leicht geöffnetem Schnabel und nach unten ausgebreiten Flügeln steht der Vogel auf seine Schwanzspitze und die leicht einwärts gekrümmten Füße gestützt. Er ist aus dem Horn eines Wasserbüffels gearbeitet, etwas mehr als 27 cm hoch und 18 cm breit und hat eingesetzte Augen aus Knochen und Holz. Das Horn ist so ausgewählt und bearbeitet worden, dass der gesamte Vogel eher bräunlich ist, die Schnabelspitze dagegen etwas heller. Die Flügel sind eingesetzt, der linke ist abgebrochen und fehlt. Auf Kopf, Rücken, Bauch, Flügeln und Schwanz ist der Vogel zusätzlich verziert. Feine Muster sind eingraviert, die nur zum Teil an Federn erinnern, wie zum Beispiel auf dem Kopf und an den Flügeln. Auf dem Rücken kreuzen sich zwei an den Flügelansätzen beginnende diagonal verlaufende Bänder mit einer Blüte über dem Kreuzungspunkt. Auf dem Bauch prangt eine diagonal karierte Krawatte, was nicht ohne Komik ist. Das Objekt stammt, wie Vergleichsbeispiele aus niederländischen Museen zeigen, aus Java. Es ist davon auszugehen, dass es als Souvenir gearbeitet wurde. Einfache aus Horn gearbeitet Vögel (ohne extra gearbeitete Flügel) gelangten bereits in der 1930er Jahren in die ethnologischen Museen der Niederlande. Vögel mit eingesteckten Flügeln wurden „vor 1964“ hergestellt und gesammelt. Diese Vögel weisen zwar ein ähnliches Diagonalmuster auf, allerdings scheint ihnen die Krawatte zu fehlen.
Die Krawatte kann auf vielerlei Arten gedeutet werden. Sie ist ein europäisches Kleidungsstück, das die niederländischen Kolonialherren getragen haben. Es bleibt zu erforschen, wer auf Java für das Tragen von Krawatten bekannt war, welcher Berufszweig, welcher indonesische Politiker, Schauspieler etc. Aus der Außensicht fallen einem - neben den Niederländern - die indonesischen Regierungschefs ein. Der erste Präsident, Sukarno, der ab 1945 regierte, herrschte ab 1959 zunehmend autoritär über Indonesien, während er gleichzeitig für die „die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit und Emanzipation vom niederländischen Kolonialismus“ kämpfte (Frey 2002: 414). Der zweite, der Diktator General Suharto, gelangte 1966 nach einem Militärputsch und dem „Massaker in Indonesien 1965-66“ an die Macht. Wenn man davon ausgeht, dass der Tourismus in Zeiten des Bürgerkrieges stagnierte, wäre der Hornvogel mit seiner Krawatte vielleicht eine karrikaturhafte Form des Widerstandes/Protestes – gegen die (ehemaligen) Kolonialherren oder den zunehmend autoritären und korrupten Präsidenten und seine Minister oder einen Beamten.
Quellen:
Vergleichsobjekte: Tropenmuseum Amsterdam, Inv.Nr. TM-3404-23, TM-3404-24, TM-3404-25, TM-3404-25a
Frey, Marc, 2002, Drei Wege zur Unabhängigkeit. Die Dekolonialisierung in Indochina, Indonesien und Malaya nach 1945. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 50, Heft 3, S. 399-433 (abgerufen als pdf unter: https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2002_3_3_frey.pdf, 30.8.2018).
Indonesien / Sukarno. Nummer ab. Der Spiegel, Nr. 10 (1967) (abgerufen unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46394457.html, 31.7.2018).
https://nl.wikipedia.org/wiki/Waterbuffel
https://www.bernerzeitung.ch/leben/style/vom-tuch-zum-schal-zur-krawatte/story/16261085
https://de.wikipedia.org/wiki/Krawatte
https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/geschichte/vertiefung/entwicklung/dekolonisierung.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Sukarno
https://de.wikipedia.org/wiki/Suharto
https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_in_Indonesien_1965–1966
https://www.deutschlandfunkkultur.de/indonesien-vor-50-jahren-als-general-suharto-die-macht-an.932.de.html?dram:article_id=348020
Otto-von-Bismarck-Stiftung Friedrichsruh (Inventarnummern F 2004/040, F 2004/042, Kassenbuch der Firma Jantzen und Thormählen)
Die schöne Welt der Lobbyisten? - drei Objekte aus Frierichsruh
Die Hamburger Traditionsfirma C. Woermann ist bis heute für ihre Beziehungen nach Afrika bekannt. Zumindest in Fachkreisen weiß man auch um ihre Bedeutung für die Errichtung des deutschen Kolonialreiches in Afrika. Angeblich hat die Firma Woermann Reichskanzler Bismarck, einen überzeugten Gegner von Kolonien, „umgedreht“. Davon findet man in Friedrichsruh nichts. Unerwartet stößt man aber auf eine andere Hamburger Firma, die in der Kolonialzeit ebenfalls eine wichtige Rolle spielte, zu der aber bislang kaum geforscht wurde. Soweit bekannt ist, gründeten Wilhelm Jantzen und Johann Thormählen 1874 in Hamburg die Handelsfirma Jantzen & Thormählen. Beide hatten zuvor bei der Firma C. Woermann gearbeitet, Jantzen in Liberia und Thormählen in Gabun. Innerhalb von kurzer Zeit avancierte ihre Firma zum Hauptkonkurrenten Woermanns und bestritt ein Viertel des Im- und Exports von Kamerun. Vermutlich importierten sie - wie die Hamburger Firma C. Woermann - u. a. Branntwein, Waffen und Schießpulver nach Kamerun und exportierten Elfenbein, Palmöl und Palmnüsse. Dennoch arbeiteten beide Firmen auch miteinander. „Anfang 1884 nehmen die Niederlassungsleiter von C. Woermann und Jantzen & Thormählen in Abstimmung mit Reichskanzler Bismarck Geheimverhandlungen mit King Bell und Dika Akwa auf, um diese dafür zu gewinnen, das Deutsche Reich als Schutzmacht zu berufen“ (http://www.aanderud-consulting.com/uploads/PDF/Woermann-Festschrift%202012-10.pdf, S. 32). Am 12.7.1884 unterzeichnen die Duala-Könige Ndumb´a Lobe (bzw. König Bell)und Akwa den „Schutzvertrag“: „wir treten mit dem heutigen Tage unsere Hoheitsrechte, die Gesetzgebung und Verwaltung unseres Landes vollständig ab an den Herren Eduard v. Schmidt für die Firma C. Woermann, und Herrn Johannes Voss für die Firma Jantzen & Thormählen, beide in Hamburg, welche seit vielen Jahren an diesem Flusse Handel treiben.“In der Folgezeit gründeten Jantzen & Thormählen eigene Plantagen. Ab 1885 ließen sie im heutigen Kamerun, Äquatorialguinea und Gabun Kakao und Kaffee anbauen, später auch Kautschuk, Tabak und Bananen. Allein am Kamerunberg „besaßen“ sie nach Enteignung und Vertreibung der Bewohner 90.000 Hektar Land.
Im Museum der Otto-von-Bismack Stiftung befinden sich 13 Fotos mit Verweis auf die Firma Jantzen & Thormählen sowie ein Kassenbuch ebendieser Firma. Die mit einem breiten weißen Rahmen versehenen Fotos weisen auf der Rückseite in der Regel zwei verschiedene Handschriften auf. Die obenstehende und in Tinte geschriebene Zeile erklärt das auf der Vorderseite Abgebildete, wie z.B. „Mein Wohnhaus in Eloby“ oder „Beach vor der Factory in Malimba“. Darunter befindet sich mit Bleistift ein erklärender Zusatz, der bei allen Fotos auf die Faktoreien „der Firma Jantzen + Thormählen“ verweist. Sieben Fotos stammen aus „Eloby“, drei aus „Malimba“, zwei aus „Gabun“, und je eines aus „Bata“ und „Big Batanga“. Die Fotos aus Gabun zeigen auf der Rückseite den Stempel des Fotografen: „F. W. Joaque, Photographer, Gaboon“. Auf zwei Fotos, die in der Faktorei auf der Kleinen Elobey-Insel (Elobey Chico, Äquatorialguinea) gemacht wurden, sind die abgebildeten Menschen deutlich zu erkennen. Die rückseitige Beschriftung weist sie als „Kroo“ aus. Das ist im ersten Moment erstaunlich, denn die Kru stammen von der Küste Liberias, die von Elobey Chico gute 2.300 km Luftlinie entfernt liegt. Bei genauerem Hinsehen eröffnet sich eine erstaunliche Geschichte innerafrikanischer Arbeitsmigration. Die als „Krooboys“ oder „Krumen“ bezeichneten Kru wurden seit dem 18. Jahrhundert von den Europäern als Seeleute angeheuert. Sie hatten unter den Europäern einen guten Ruf, galten sie doch als stark, gewissenhaft und fleißig. Im 19. Jahrhundert wurden sie als ungelernte Arbeitskräfte von europäischen Händlern oder Kolonialbeamten angeworben, meist mit ein- oder zweijährigen Verträgen. Allerdings machten es sich die Europäer sehr einfach, denn unabhängig von ihrer wahren Herkunft/Ethnie bezeichneten sie alle in Liberia angeworbenen Arbeiter als „Kru“. Jane Martin nennt sieben verschiedene Ethnien, die als „Krooboys“ bezeichnet wurden. Sie konnte auch zeigen, dass sich bei dem Stamm der Grebo vor allem die jungen Männer anwerben ließen, die der kinibo-Altersklasse angehörten. Von den Mitgliedern dieser Altersgruppe wurde erwartet, dass sie ein Training für das spätere Leben absolvierten. Traditionell wurde darunter die Vorbereitung auf den Kriegerstatus verstanden (die Grebo, Kru und andere Ethnien führten mehrfach bewaffnete Widerstände gegen die US-Liberianer), offensichtlich kam die Zeit im Dienst von Europäern dem gleich. Die „fleißigen“ und „geschätzten“ „Krooleute“ verfolgten mit ihrer Anwerbung also durchaus eigene Ziele.
Das aufgeschlagene Kassenbuch der Firma Jantzen & Thormählen, das in der gegenwärtigen Ausstellung der Bismarck-Stiftung zu sehen ist, weist einen interessanten Posten auf, der in der Forschung bislang nur wenig Beachtung gefunden hat: der Verkauf von „eth[n]ogr. Gegenstände[n]v. Kamerun“ als Zusatzverdienst der Handelshäuser. Um welche Gegenstände es sich handelte, von wem und wie sie erworben wurden, ist dem kurzen Eintrag nicht zu entnehmen, ebenso wenig wie eine Aussage, an wen die Objekte verkauft worden sind. Das bleibt Gegenstand weiterer Nachforschungen, die genauso wünschenswert wären, wie eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Firma selbst.
Quellen:
Aanderud, Kai-Axel, 2012, Immer wieder Afrika what else?. 175 Jahre // years C. Woermann – 1837-2012. Herausgegeben von Volker Kuppe und Detlev Woermann. Hamburg. (abgerufen unter: http://www.aanderud-consulting.com/uploads/PDF/Woermann-Festschrift%202012-10.pdf, 30.7.2018).
Martin, Jane, 1985, Krumen „Down the Coast“. Liberian Migrants on the West African Coast in the 19th and Early 20th Centuries. In: The International Journal of African Historical Studies, Vol. 18, No. 3, S. 401-423. (abgerufen unter: https://www.jstor.org/stable/218646?read-now=1&loggedin=true&seq=1#page_scan_tab_contents, 28.7.2018).
Rudin, Harry R. 1938, Germans in the Cameroons 1884-1914. A Case Study in Modern Imperialism. New Haven, Yale University Press. (abgerufen unter:https://archive.org/stream/germansincameroo00rudi/germansincameroo00rudi_djvu.txt, 27.8.2018).
https://de.wikipedia.org/wiki/Jantzen_%26_Thormählen
https://en.wikipedia.org/wiki/Jantzen_%26_Thormählen
https://www.deutsche-biographie.de/sfz36998.html
https://de.wikipedia.org/wiki/King_Bell
http://www.afrika-hamburg.de/globalplayers3.html
http://www.afrika-hamburg.de/globalplayers2.html
http://www.bpb.de/apuz/202989/bismarck-und-der-kolonialismus?p=all
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/aussenpolitik/kolonialpolitik.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Liberias#Auf_dem_Weg_zur_Unabhängigkeit
https://www.petervogenbeck.de/articles/articledocs/Kamerun/Woermann_Schmidt.pdf
Dr. Carl-Häberlin-Friesen Museum (Inventarnummer S 152)
Entfernungsrekord geschlagen! Über 15.000km von Schleswig-Holstein entfernt
15.841 km Luftlinie bis Schleswig-Holstein
Das vorgestellte Objekt hält in unserem Projekt einen Entfernungsrekord: Sein Ursprungsort liegt 15.841 km entfernt in der Südsee. Es handelt sich um ein sisioder vuasagale genanntes Halsband von den Fidschi-Inseln. Es ist aus acht gelochten Pottwalzähnen gefertigt, die mit einer Schnur aus Kokosfaser verbunden sind. Die Schnur weist allerdings Reparaturen mit einer helleren Faser auf. Der längste Zahn misst 10 cm. Die Kette ist von heller, natürlicher Farbe und scheint daher „neueren“ Datums zu sein.
Annäherung 1: Der Pottwal und seine Zähne Pottwale kamen/kommen in die polynesischen Gewässer, um sich dort zwischen Juni und August fortzupflanzen. Sie gehören zu den Zahnwalen und besitzen je nach Größe und Alter zwischen 25 und 50 Zähne auf dem Unterkiefer. Die größten sind etwa 20 cm lang und wiegen bis zu 1 kg. Die Pottwale wurden von den Polynesiern nicht gejagt. Die Zähne stammten von toten Tieren, die gelegentlich an den Stränden anlandeten, vor allem an den Stränden von Tonga. Interessanterweise waren die Zähne aber vor allem im weit entfernten Fidschi begehrt. Da sie dementsprechend wertvoll waren, wurden sie nur von hochgestellten Persönlichkeiten getragen. Die großen Zähne wurden einzeln an Schnüren befestigt, die kleineren zu Ketten verarbeitet. Vor allem erstere wurden sorgsam gepflegt und z. B. mit Kokosöl eingerieben oder geräuchert, um ihnen einen braunen Schimmer zu geben. Auch erhielten sie bisweilen individuelle Namen. Vor allem aber waren sie wertvolle Gaben bei wirtschaftlichen oder sozialen Transaktionen. Auch heute noch spielen sie eine wichtige Rolle bei Heiraten oder werden hochgestellten Persönlichkeiten verliehen, wie z. B. der Königin von England. Auch Ketten aus mehreren Zähnen waren ein wertvoller Besitz. Sie zeigten den Rang seines Trägers an und wurden unter den Häuptlingen „getauscht“, um sich militärische oder politische Unterstützung zu sichern.
Annäherung 2: Die Beziehungen zwischen Tonga und Fidschi Knapp 770 km trennen Tonga von Fidschi (zum Vergleich: Flensburg und München sind 754 km Luftlinie voneinander entfernt). Ein heutiges Schiff mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 10 Knoten (18,52 km/h) benötigt für diese Strecke fast 2 Tage. Für die Bewohner beider Inseln war diese Entfernung kein Hindernis. Vielmehr herrschte ein reger Handelsverkehr mit hochseegängigen Booten, die mit ihren geflochtenen Segeln eine Höchstgeschwindigkeit von 15 Knoten erreichten. Allerdings stammte das Holz der tongaischen Schiffe aus Fidschi und war Bestandteil der fidschianischen Handelsgüter, während die Tongaer u. a. die begehrten Walzähne mit sich führten.
Annäherung 3: Walfänger und Händler im Südpazifik 1788/89 begannen die Europäer mit dem kommerziellen Walfang im Südpazifik. Von 1820 bis etwa 1860 waren vor allem US-amerikanische und britische Walfangschiffe in den Gewässern von Fidschi unterwegs. Um sich mit Frischwasser und Nahrungsmitteln zu versorgen oder um neue Crewmitglieder anzuwerben, liefen sie die Häfen nahegelegener Inseln an, so auch die auf den Fidschi-Inseln. Bereits 1804 setzte ein Sandelholzboom ein, später folgten Seegurkenhändler und Baumwollpflanzer. Sie alle wurden auf Fidschi schnell mit dem Wert der Walzähne konfrontiert, die als Bezahlung oder als Geschenk zur Eröffnung von Verhandlungen verlangt wurden. So kam es, dass die Handelsschiffe oft Hunderte von Walzähnen mit sich führten und die Summe der auf Fidschi kursierenden Walzähne und Walzahnketten anstieg. Parallel dazu entwickelte sich der Ort Levuka auf der Insel Ovalau zu einem bedeutenden Handelsplatz, in dem vermutlich auch Ethnographica als Andenken an die Seeleute verhandelt wurden.
Annäherung 4: Von Fidschi nach Deutschland Leider ist der Name dessen, der die Kette dem Museum übergegeben hat, nicht überliefert. Daher sind die genaueren Umstände des Erwerbes nicht bekannt. Hier sind verschiedene Szenarien denkbar: Ausgehend von der Bedeutung der Ketten auf Fidschi, kann sie nicht jedem Beliebigen überreicht worden sein. Hat der Sammler sie verliehen bekommen, weil man sich erhoffte, er ginge mit der Annahme des Geschenks eine Verpflichtung ein? Wenn ja, wird er kein einfacher Matrose gewesen sein, sondern eher ein regelmäßig erscheinender Kapitän oder ein ansässiger Händler etc.. Anders sieht es aus, wenn die Kette in einem Geschäft im Hafen erstanden wurde. So ist bekannt, dass der britische Fotograf Francis Dufty, der sein Studio in der Stadt Levuka hatte, auch mit „Kunstgewerbe“ handelte und ethnographische Gegenstände u.a. als Requisiten nutzte. Eher unwahrscheinlich dagegen ist das Szenario, unrechtmäßig an diesen wertvollen und gut behüteten Gegenstand gelangt zu sein.
Literatur
Brown, Deidre und Peter Brunt, 2012, After Lapita: Voyaging and Monumental Architecture c. 900 BC – c. AD 1700. In: Brunt, Peter, Nicolas Thomas, Sean Mallon et.al., 2012, Art in Oceania. A New History. London. S. 64.
Grijp, Paul van der, 2007, Tabua Business: Re-circulation of Whale Teeth and Bone Valuables in the Central Pacific. In: The Journal of the Polynesian Society, Bd. 116: S. 341-356.
Grijp, Paul van der, 2009, Art and Exoticism: An Anthropology of the Yearning for Authenticity. Münster. S. 270-273.
Neich, Roger und Fuli Pereira, 2004, Pacific Jewelry and Adornment. Honolulu, S. 18, 140, 141.
Thode-Arora, Hilke, 2001, Tapa und Tiki. Die Polynesien-Sammlung des Rautenstrauch-Joest Museums. Köln, S. 290.
Vanderstraete, Anne, 2016, Monnaies. Objets d’Échange. Genève, S. 196.
Historisches Foto eines Mannes aus Fidschi mit einer Wahlzahnhalskette: https://museumsvictoria.com.au/fiji/details.aspx?pid=764&Mode=ByKeyword&Topic=
Foto: Queen Elizabeth bekommt einen tabua-Zahn überreicht, siehe http://www.numismaster.com/ta/numis/Article.jsp?ArticleId=28290
https://museumsvictoria.com.au/fiji/details.aspx?pid=866&Mode=ByKeyword&Topic=
http://collectie.wereldculturen.nl/Default.aspx#/query/0ead484f-f954-43c7-874a-3e52f0720fe0
https://www.youtube.com/watch?v=9r7phYtK16I
http://www.nzmuseums.co.nz/account/3032/object/49644/whale-tooth-pendant-tambua
https://sea-distances.org/
https://www.fortross.org/lib/70/a-brief-history-of-pacific-coast-whaling.pdf
https://www.nytimes.com/2017/04/11/world/asia/suva-fiji-tabua.html
https://www.fijimarinas.com/whales-in-fijian-culture/
https://www.doc.govt.nz/Documents/conservation/native-animals/marine-mammals/whales-in-the-south-pacific.pdf
http://nzetc.victoria.ac.nz/tm/scholarly/tei-BesCano-t1-body-d6-d2-d12.html
https://core.ac.uk/download/pdf/5101737.pdf
http://www.jps.auckland.ac.nz/docs/Volume122/JPS_122_2_03.pdf
https://www.royalcollection.org.uk/collection/60250/tabua
http://virtual.fijimuseum.org.fj/index.php?view=gallery&id=5
http://maa.cam.ac.uk/category/fiji-home/duftys-photo-studio/
Tuch und Technik Museum Neumünster
Faszination Peru/Anden II: Textilien
Aufgrund der klimatischen Bedingungen in den peruanischen Wüstengebieten haben sich viele vorspanische Textilien in Peru erhalten. Weit mehr als nur funktionale Bekleidungsstücke, die für den Eigenbedarf produziert wurden, waren sie Handelsware, Entlohnung von Soldaten, Geschenke zwischen Herrschern, Opfergegenstände, Grabbeigaben etc. Auch Status und Beruf seines Trägers wurden mit Textilien ausgedrückt.
Was die Fertigung angeht, zeugen die Textilien von der hohen Könnerschaft und technischen Brillanz der Weberinnen und Weber, die diese Kunstwerke an - aus westlicher Sicht – „einfachen“ und mobilen Rückenwebstühlen gefertigt haben. Einer dieser Webstühle aus der Inkazeit wurde 1615 in der Chronik von Guaman Poma de Ayala abgebildet.
Als Materialien benutzten die Weberinnen und Weber sowohl Wolle (von Lama, Alpaca etc.) als auch Baumwolle. Sie verwendeten sie entweder in ihren zahlreichen Naturtönen oder färbten sie ein. So zum Beispiel gewannen sie bereits 1.500 Jahre vor den alten Ägyptern aus Indigo Blautöne.
Eine besondere textile Technik ist das „Umfassende Verschlingen“ („cross-knit looping“). Mit ihr wurden dreidimensionale Borten hergestellt und an Tüchern befestigt, die i.d.R. an Kopfbedeckungen von Mumienbündeln nachzuweisen sind. Das abgebildete Beispiel, das aus der frühen Nasca-Kultur stammt (Early Nasca Phase, 90 – 325 n.Chr.), ist nur ein kurzes Teilstück einer solchen Borte. Deutlich sind in – immer noch - leuchtenden Farben kleine Kolibris zu erkennen, die aus Blüten Nektar saugen.
Die Begeisterung für Textilien aus den Anden ist ungebrochen. Auch viele neuere Textilien fanden und finden ihren Weg in die Museen. Stellvertretend ist hier ein Beutel zur Aufbewahrung von Coca-Blättern gezeigt. Er wurde vermutlich um 1940 hergestellt. Auch wenn das Maschenbild dem oben gezeigten Objekt ähnelt, der wollene Beutel ist in einer ganz anderen Technik hergestellt: Er wurde gestrickt. Diese Technik wurde von den Europäern übernommen. Das Muster zeigt drei breitere weißgrundige Reihen, die mit menschlichen und tierischen Motiven gefüllt sind. In der Mitte sind Männer und Frauen zu sehen, die sich an den Händen halten. Eingerahmt werden sie von je einer Reihe mit stattlichen Stieren. Die ersten Tiere dieser Art wurden im heutigen Gebiet von Bolivien um 1548 von den Spaniern eingeführt und verbreiteten sich schnell über das Hochland.
Literatur
https://www.pbs.org/newshour/science/blue-jeans-6000-year-old-peruvian-ancestor
https://acllahuasi.com/en/articulos-investigaciones/anillado-cruzado/
http://art.famsf.org/knit-bag-chuspa-1992107171
https://de.scribd.com/document/322910779/Bovino-Criollo
Paul, Anne, 2007, Diversity and Virtuosity in Early Nasca Fabrics. In: Andean Past, Vol. 8: S. 375-406. Abgerufen als pdf unter:
https://digitalcommons.library.umaine.edu/cgi/viewcontent.cgi?referer=https://www.google.de/&httpsredir=1&article=1138&context=andean_past
Bjerregaard, Lena und Torben Huss, 2017, PreColumbian Textiles in the Ethnological Museum in Berlin. University of Nebraska Press. Abgerufen als pdf unter: https://digitalcommons.unl.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1052&context=zeabook
Fotonachweis: Guaman Poma de Ayala, Phelipe, 1615, Nueva corónica y buen gobierno. Dibujo 80, S 215(217).http://www.kb.dk/permalink/2006/poma/217/es/text/?open=idp267968
Skatclub e.V. Marne, Nolde Stiftung Seebüll und Industriemuseum Elmshorn
Faszination Peru I
Erstaunlich häufig finden sich Objekte aus Alt-Peru in den bisher besuchten Museen. Bisweilen gehören sie zum so genannten „Altbestand“ und waren bereits vor der offiziellen Gründung der Museen im Objektbestand vorhanden. Sie stammen oft von Sammlern, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Peru lebten und arbeiten und sich für die Kultur ihrer neuen Heimat begeisterten. Es ist nicht auszuschließen, dass sie als Mitglieder der deutschen Gemeinschaft oder des Clubs Germaniain Lima Interesse an und Zugang zu den Arbeiten der deutschen Archäologen hatten, die in Peru tätig waren und die Archäologie Perus begründeten. Hervorzuheben wären hier Wilhelm Reiß und Alphons Stübel, die ersten Ausgräber im Gräberfeld von Ancón (1874/75) und Max Uhle in Nasca (1906) bzw. in Chimú (1913).
Die schwarzgebrannte Keramik stammt von Angehörigen der Chimú-Kultur. Das Reich der Chimú entwickelte sich seit etwa 1100 n. Chr. an der peruanischen Nordküste und wurde etwa im Jahr 1470 von den Inka besiegt. Die Hauptstadt Chan-Chan gilt mit ihren bis zu 100.000 Einwohnern als größte vorspanische Stadt Südamerikas. Ihre Ruinen wurden 1986 zum Weltkulturerbe erklärt. Typisch für die mit Modeln hergestellte Keramik von Chimú sind Verzierungen mit Flachreliefs auf gepunkteten Untergründen. Dieser Stil wurde auch nach der Eroberung durch die Inka weitergepflegt. In den vorgestellten Beispielen sind Schlangen und Seevögel zu erkennen. Letztere, die das Land mit dem wichtigen Guano-Dünger versorgten, galten als Zeichen der Fruchtbarkeit.
Die bunten Gefäße stammen aus der Nasca-Kultur (200 v. Chr. – 650 n.Chr.), die sich in der südperuanischen Küstenwüste entwickelte, einer der extremsten Klimaregionen der Erde. Berühmt sind die „Nasca-Linien“ genannten Geoglyphenin der Wüste, auch sie sind Weltkulturerbe. Die bunte Keramik von Nasca weist eine reiche Bildsprache auf, die Rückschlüsse auf Lebensweise und Glaubensvorstellungen dieser Kultur gibt. Auch zahlreiche Darstellungen von Tieren, meist Vögel, sind zu finden. Die Malereien sind so detailgenau, dass mehr 20 verschiedene Vogelspezies bestimmt werden konnten. Das erste Beispiel zeigt einen Kolibri, das zweite eine (noch) nicht bestimmte andere Vogelart.
Die hier gezeigten Objekte stammen aus folgenden Museen: Marne, Seebüll und Elsmhorn
Weiterführende online Literatur und Quellen:
http://www.museodeancon.com/arqueologiaenancon-investigaciones.htm
https://australianmuseum.net.au/chimu-pottery-and-its-meaning
https://www.khanacademy.org/humanities/art-americas/south-america-early/chim-culture/a/introduction-to-the-chim-culture
Pardo, Cecilia und Peter Fux, 2017, Nasca-Peru. Archäologische Spurensuche in der Wüste.
Proulx, Donald A., 2006, A Sourcebook of Nasca Ceramic Iconography. University of Iowa Press.
Haus der Natur in Cismar (Inventarnummer Cis 7)
Der Krieg der Schnecken
Das März-Objekt, das sich im Haus der Natur in Cismar befindet, entführt uns diesmal in die Südsee, genauer gesagt nach Französisch-Polynesien, auf die Inseln Huahine, ca. 175 km nordwestlich von Tahiti. Huahine besteht aus 10 Inseln und wurde 2007 von knapp 6.000 Menschen bewohnt. Die zwei Hauptinseln Huahine Nui und Huahine Iti, sind Vulkaninseln, die bis zu 669 m und 460 m hoch sind. Dort – und nur dort - lebte die nachaktive Baumschnecke Partula rosea. Die Schnecke ist, wie die Biologen sagen, endemisch in Huahine. Aus leeren Schnecken und Muschelgehäusen fertigten die Bewohner Schmuckketten, zum Eigengebrauch, aber auch als Geschenke und zum Verkauf an Touristen. 1992 erhielt das Haus der Natur in Cismar eine Kette aus den Gehäusen der kleinen Landschnecke als Geschenk von Elisabeth Kersten, die sie, leider ohne weitere Datierung, aus Huahine mitgebracht hatte. Zu diesem Zeitpunkt war die kleine Baumschnecke bereits in ihrem Bestand gefährdet. Denn in den 1970er Jahren wurde die aus Amerika stammende fleischfressende Rosige Wolfsschnecke, Euglandina rosea (Gehäuselänge max. 10 cm), auf Huahine eingeführt, die ihrerseits die sich schon vor dem Zweiten Weltkrieg im Pazifik ausbreitende afrikanische Große Achatschnecke, Achatina fulica (Gehäuselänge 15 cm), dezimieren sollte. Dies tat sie kaum, denn die kleinen einheimischen Partula-Arten waren als Beute viel verlockender als die riesigen zähschleimigen Achatschnecken. Heute ist die kleine Baumschnecke Partula rosea in freier Wildbahn ausgestorben. Die Art lebt nur noch in Erhaltungszuchten in wenigen Zoos. Bei einer im Sommer 2017 durchgeführten Untersuchung auf Huahine konnte keine Euglandina-Schnecke mehr gefunden werden, allerdings frische Gehäuse von Achatina auf einer landwirtschaftlich genutzten Fläche. Die Wolfschnecke hat auf den Pazifischen Inseln 52 Partula-Schneckenarten komplett ausgerottet, 11 weitere überlebten nur in menschlicher Obhut.
Die „harmlose“ an Touristen verkaufte Kette erzählt von der anderen Seite der Globalisierung, von unbedachten Eingriffen in natürliche Ökosysteme und von der Ausrottung seltener Arten.
Tipp: Im Frühjahr 2018 wird in Cismar eine kleine Sonderausstellung über bedrohte Schnecken- und Muschelarten eröffnet, in der mehr über Partula rosea und ihr Schicksal zu erfahren sein wird.
Literatur
https://de.wikipedia.org/wiki/Huahine
https://www.telegraph.co.uk/news/uknews/1579508/The-little-snail-in-big-trouble.html
http://www.iucnredlist.org/details/16293/0
https://islandbiodiversity.com/Partulacons.htm
https://islandbiodiversity.com/euglandina.htm
https://islandbiodiversity.com/Partula2017.htm
Überseemuseum Fehmarn (Inventarnummer GÜ280):
Falschgeld made in … China, Japan, Germany?
Was wertvoll ist, läuft Gefahr, gefälscht zu werden. Ob der 50 Euro-Schein heute oder chinesisches Ming-Porzellan im 17. Jahrhundert: künstlerische und technische Fähigkeiten gepaart mit krimineller Energie bringen - vereinfacht - entweder Geld oder Gefängnis. Auch die Kolonialgeschichte ist voll von Wirtschaftsverbrechen. Falschgeldherstellung und Inumlaufbringen von Falschgeld ist eines davon. Geahndet wurden sie nie, doch zumindest gelang es nicht immer, die indigene Bevölkerung zu hintergehen und zu täuschen.
In vielen Teilen der Welt war die Meeresschnecke Cypraea moneta bzw. Monetaria moneta - auch als Kaurischnecke bekannt - die Währung schlechthin. Sie war fälschungssicher, leicht und doch schwer zerbrechlich, von Ozeanien bis Afrika als Währung anerkannt und nicht anfällig für Korrosion, bis, ja bis die Hamburger Firma Adolph Jacob Hertz Söhne auf die Idee kam, die kleinen Geldschnecken durch eine größere Art (Cypraea annulus) zu ersetzen, sie in Sansibar, wo sie zum Kalkbrennen benutzt wurde, aufzukaufen und versuchsweise auf den westafrikanischen Markt zu bringen. Es glückte, sie verdienten reichlich Gold und bekamen mit der Hamburger Firma Wilhelm O’swald & Co. einen Geschäftskonkurrenten. Innerhalb von 15 Jahren fluteten sie Westafrika mit 150 bis 200 Tonnen dieser Schnecken, brachten zuletzt immer schlechtere Exemplare auf den Markt und lösten eine Hyperinflation aus.
Etwas Ähnliches passierte auch auf den zu Papua Neuguinea gehörenden Admiralitätsinseln. Hier wie an anderen Orten Papua Neuguineas galten Hundezähne als Währung – vor allem bei rituellen Zahlungen wie Brautpreisen etc.. „Findige“ Händler importierten Anfang des 20. Jahrhunderts Hundezähne aus der Türkei und China, was schon vor 1914 auf den Admiralitätsinseln zu einem Preisverfall führte. Eine zeitgleich verlaufende andere Form der Falschmünzerei hatte anscheinend keinen Erfolg. Die Fälschungen waren zu schlecht, um von der lokalen Bevölkerung ernst genommen zu werden. Es handelt sich um den Versuch, die Hundezähne in Porzellan nachzumachen. Es lässt sich im Augenblick nicht mehr feststellen, wann die Zahnkopien erstmalig eingeführt wurden, vermutlich aber von deutschen Plantagenbesitzern, die damit ihre indigenen Arbeiter entlohnen wollten. Später scheinen Chinesen und Japaner auf die gleiche Idee gekommen zu sein. Fest steht nur, dass in diesem Fall künstlerisches Können und kriminelle Energie auseinanderklafften: Die Zahnkopien wurden nicht als ernst zu nehmende Währungseinheit gewertet, auch wenn man sie als dekoratives Element verwendete. Bei der Fehmarner Kette(?) kann man, inmitten von 40 geldwerten Hundeeckzähnen, sehr schön die zwei Porzellanzähne erkennen, denen man sofort ansieht, dass sie unecht sind und die nur der Verzierung dienten.
Literatur:
Bückendorf, Jutta
1997 „Schwarz-weiß-rot über Ostafrika!“ Deutsche Kolonialpläne und afrikanische Realität. Münster, S. 152.
Daalder, Truus
2009 Ethnic Jewellery and Adornment. Australia, Oceania, Asia, Africa. Adelaide, Melbourne, S. 127.
Einzig, Paul
1961 [1949] Primitive Money in its Ethnological, Historical and Economic Aspects. London. S. 69- 72, 75- 79, 90.
(https://archive.org/stream/in.ernet.dli.2015.190322/2015.190322.Primitive-Money#page/n71/mode/2up)
Neich, Roger und Fuli Pereira
2004 Pacific Jewelry and Adornment. Honolulu.S. 19, 52, 53
Ohnemus, Sylvia
1996 Zur Kultur der Admiralitäts-Insulaner: die Sammlung Alfred Bühler im Museum für Völkerkunde Basel. Basel.
Stuhlmann, Franz
1909 Beiträge zur Kulturgeschichte von Ostafrika. Allgemeine Betrachtungen und Studien über die Einführung und wirtschaftliche Bedeutung der Nutzpflanzen und Haustiere mit besonderer Berücksichtigung von Deutsch-Ostafrika. Berlin. S 782-789.
(https://archive.org/stream/beitragezurkultu00stuh#page/782/mode/2up)
https://www.welt.de/finanzen/article161574101/Eine-Euro-Note-wird-besonders-oft-gefaelscht.html
keramische Nachbildungen von Armringen aus Tridacna gigas: https://www.jstor.org/stable/42905915
http://www.solomonencyclopaedia.net/biogs/E000191b.htm
Museum für Archäologie und Ökologie Dithmarschen (Inventarnummer New Jersey a-f)
Bevor die Europäer kamen: steinerne Zeugen indianischer Vergangenheit in Albersdorf
Eine kleine Plastiktüte mit sechs grauschwarzen Pfeilspitzen, die zwischen 2,1 cm bis 4 cm lang und 1,7 cm bis 2,9 cm breit sind. Dazu ein handschriftlicher Zettel mit Text: „All points from Sussex County, New Jersey; 3 Triangle points from 250 to 1200 years old, 3 shoulder points rangeing in age from 900 years to 3500 years, all points are made from flint, founded by Bob Dunay“ und auf der Rückseite ist in anderer Handschrift geschrieben: „übergeben Hubert Noel[….]“. Sussex County ist das nördlichste und bergreichste County New Jerseys, es liegt quasi hinter der Stadt New York, an der Grenze zu den Bundesstatten New York und Pennsylvania. Es umfasst 1.388 Quadratkilometer und ist damit etwa so groß wie der Kreis Segeberg. Der deutschstämmige Max Schrabisch (1869-1949), der in seinen Zwanzigern in die USA auswanderte, gilt als der erste professionelle Archäologe New Jerseys. Er stellte im Sussex County 234 prähistorische indianische Wohnstätten fest, 25 „rock shelter“, sowie Begräbnisstätten und anderes mehr und konnte zeigen, dass seit dem Ende der Eiszeit Indianer in Sussex County gelebt haben. Sie waren die Vorfahren der Lenape, was übersetzt „wahre Menschen“ bedeutet, und die bei uns bekannter sind unter dem Namen „Delawaren“.
Die ausgewählten Steinspitzen erzählen eine für uns erstaunliche Geschichte von Indianern und Pfeil und Bogen. Dies bildet zwar in unseren Köpfen eine feste Einheit, tatsächlich aber wurde der Bogen nicht immer und überall genutzt. Die Spitzen New Jersey a-c gehören dem Bare Island-Typ an und entstanden zwischen 2.000 vor bis 1.000 nach Chr. Sie waren für Speere gedacht, die mittels eines Speerwerfers geschleudert wurden. Die Spitzen d-f dagegen wurden mit dem Bogen abgeschossen, der im östlichen Waldland Amerikas erst um etwa 500 -750 n. Chr. nachzuweisen ist (Justice 1987: 10). Zu dieser Zeit waren die Indianer mobile Gartenbauern und pflanzten die aus dem Süden gekommenen „heiligen drei Schwestern“ Mais, Bohne und Kürbis an. Der Ertrag von Jagd und Fischfang sowie wilde Beeren, Erdnüsse und Gemüse ergänzten den Speiseplan. Auch Tabak wurde angebaut. Die Bevölkerung wohnte in runden Wigwams mit Kuppeldach oder in großen Langhäusern. Erste Kontakte mit den Europäern gab es vermutlich schon im frühen 16. Jahrhundert. Man schätzt, dass etwa 15.000 Lenape vor der Ankunft er Europäer in New Jersey lebten. Im Jahr 2000, bei der letzten Volkszählung, waren nur 0,11% der Bevölkerung New Jerseys Indianer, also 9.255 Menschen.
Literatur:
Justice, Noel D.
1987 Stone Age Spear and Arrow Points oft he Midcontinental and Eastern United States. A modern survey and reference. Bloomington. S. 10, 128, 129, 215-217, 228.
Ritchie, William A.
1961 A Typology and Nomenclature for New York Projectile Points. New York State Museum and Science Service, Bulletin Number 384, Albany, S. 14-15,28, 31-32, Plates 2, 3, 12, 15.
Schrabisch, Max
1915 Indian Habitations in Sussex County New Jersey. Bulletin 13. Geological Survey of New Jersey. S 7-73.
http://www.njherald.com/20161120/sussex-countys-native-american-legacy#//
https://newjerseyarchaeology.wordpress.com/2015/12/11/max-schrabisch/
http://www.njskylands.com/hs_lenape_083
http://www.pdcbank.state.nj.us/dep/njgs/enviroed/oldpubs/bulletin13.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Lenni_Lenape
http://www.state.nj.us/state/museum/dos_museum_exhibit-original-people.html
http://www.nj.gov/dep/hpo/1identify/pg_139_LateWdlndPeriodNJKraft_Mounier.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Lenni_Lenape
http://www.womenhistoryblog.com/2008/02/native-americans-of-new-jersey.html
Nordfriesland Museum Husum. Nissenhaus (Inventarnummer o.Nr. 1491)
Ein Werbegeschenk klärt auf
Der Fächer o.Nr. 1491 aus Husum
Schon oft habe ich mich gefragt, warum unter den kolonialen Andenken aus Ostasien so viele Objekte aus Japan sind. Der Fächer o.Nr. 1491 aus Husum hält eine überraschende Antwort auf die Frage bereit. Der 40,7 cm hohe und 22,3 cm breite beidseitig bedruckte japanische Flachfächer aus Papier zeigt auf der einen Seite eine Geige spielende Japanerin. Die andere Seite wartet mit einer Überraschung auf. Unter dem Portait des japanischen Admirals Tōgō Heihachirō (1848-1934) und dem Bild eines modernen Kriegsschiffes steht in Mayuskeln: „T. Takahashi. Photograph. Tsingtau“. Tatsächlich ist das Photoatelier T. Takahashi ab 1902 in den Adressbüchern des Deutschen Kiatschou-Gebietes nachweisbar, zunächst in der Kiautschoustraße, ab 1905 mit einer zusätzlichen Zweigstelle in der Hohenzollernstraße und ab 1907 in der Friedrichstraße und 1941 in der Shantung Road. Takahashi Tokuo war 1904 einer von 152 Japanern, die in der Stadt ihren Geschäften nachgingen (1913: 205). Neben dem Photogeschäft, das bis zu 6 Photographen beschäftigt hatte, konnte man aber auch „Aquarellmalereien, Stickereien und Japanwaren“ erstehen. Takahashi war aber nicht das einzige Geschäft, das „Japanwaren“ in der chinesischen Stadt vertrieb, 1914 gab es mindestens fünf davon. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Erinnerungen von Jacob Neumaier an seine Rückkehr aus japanischer Gefangenschaft, die ihn über Qingdao (Tsingtau) führte. Er schreibt: „Wir gingen noch zu Takahashi, dem japanischen Photographen und Raritätenhändler, bei dem wir in Friedenszeit meist unsere Andenken an China und japanische Bilder, Seidenstickereien, Postkarten und Lackwaren einkauften. Er empfing uns selbstverständlich äußerst höflich. Wir kauften kleine Andenken und er schenkte uns noch Postkarten, Fächer, und andere Kleinigkeiten“ (http://www.tsingtau.info/index.html?biographien/neumaier8.htm). Bei dem Husumer Fächer dürfte es sich um eines ebenjener Werbegeschenke handeln. Und zugleich wäre geklärt, dass so manches Andenken aus dem ehemaligen Tsingtau (Qingdao) aus einem japanischen Geschäft stammte und – wie der Fächer – japanischen Ursprungs war. Da es vermutlich sehr viele Fächer dieser Art gegeben haben wird, sie aber Gebrauchs- und Wegwerfobjekte waren, grenzt es an ein kleines Wunder, dass sich der Fächer erhalten hat. Und er regt an, sich genauer mit der internationalen Zusammensetzung kolonialer Städte zu beschäftigen.
Literatur
Matzat, Wilhelm
1998 Alltagsleben im Schutzgebiet. Zivilisten und Militär, Chinesen und Deutsche. S. 106-120. In: Hinz, H.M. und C. Lind: Tsingtau. Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1898-1914. Deutsches Historisches Museum.
https://de.wikipedia.org/wiki/Tōgō_Heihachirō
http://www.tsingtau.info/index.html?vorkrieg/bevoelkerung13.htm
http://www.tsingtau.info/index.html?biographien/neumaier8.htm
aktuelle Fächerherstellung: https://artsandculture.google.com/exhibit/tgICmVa4iH4rIQ
Nordfriesland Museum Husum. Nissenhaus (Inventarnummer Mal11)
Ein benutzter „Zauberstab“, Tunggal panaluan, der Batak (Sumatra, Indonesien)
Die Husumer Sammlung hält so manche Überraschungen bereit – neben der Tatsache, dass sie deutlich weniger Objekte aus deutschen Kolonialgebieten enthält, als zu erwarten gewesen wäre. Mehrere Sammler sind namentlich bekannt, aber nur über zwei wissen wir ein wenig mehr, und zwar über den seiner Zeit sehr bekannten Weltreisenden und Reiseschriftsteller Ernst von Hesse-Wartegg (1851-1918) (98 Objekte) sowie über den Weltreisenden und Vortragenden Dr. Bruno Schwabe (-1918) (114 Objekte). Von den Sammlern von Hagen (42 Objekte) und Kapitän Grosch (6 Objekte) kennen wir bislang nur ihre Namen. Der 129 cm hohe Zeremonialstab eines Priesters der Batak aus dem bergigen Hochland Nordsumatra, den besagter Kapitän Grosch vermutlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesammelt hat, ist eines von überraschend vielen und frühen Objekten aus Indonesien, die sich in Husum befinden. Stäbe dieser Art waren der wichtigste Ritualgegenstand der religiösen Spezialisten der Batak und wurden von ihnen selbst herstellt und durch das Anbringen eines „Zauberbreis“ wirksam gemacht. Ob dazu wirklich pulverisierte Menschenteile benutzt wurden, wie den Berichten der frühen Missionare und Wissenschaftler zu entnehmen ist, hat noch nie jemand überprüft. Der Husumer Zauberstab weist auf jeden Fall mehrere Stellen auf, die mit einer unbestimmten Masse verklebt sind. Das zeichnet ihn aus ethnologischer Sicht als einen in Benutzung befindlich gewesenen Stab aus.
Im Zuge der Missionierung und der Zunahme an europäischen Reisenden tauchten immer mehr dieser Stäbe in Europa auf. Und einige waren bereits extra für den Verkauf hergestellt. Aus den Berichten der Missionare, vor allem denen der Rheinischen Missionsgesellschaft Wuppertal, die ab 1861 bei den Batak tätig war, wissen wir, dass manche Spezialisten ihre Stäbe nach ihrem Übertritt zum evangelischen Glauben den Missionaren übergaben. In anderen Fällen säuberten die Missionare aber auch in Razzien ganze Gebiete von so genannten Zaubergeräten (Kalb-Pachner 2016:59). Wie und wo der Kapitän an den Stab gekommen ist, muss aber vorerst unklar bleiben. Stattdessen mehren sich die Fragen: Wie hieß der Kapitän mit vollem Namen, wo kam er her? In seiner Sammlung sind 2 Objekte von Chinesen vermutlich aus Batavia oder der Malaiischen Halbinsel, 3 Objekte aus Sumatra und eines aus Java. Welche Schifffahrtsroute verbindet diese Orte? Fuhr er auf einem niederländischen oder englischen Schiff vielleicht den Hafen von Medan, Sumatra, an und erstand dort den Stab? War er mit einem Missionar bekannt? Gab es so genannte Curio-Läden, in denen Ethnographica verkauft wurden, in den in Frage kommenden Hafenstädten Sumatras?
Literatur
Kalb-Pachner, Anne-Rose
2016 Zauberstäbe und datu der Batak. Zeugen der vorkolonialen Kultur. Berichte in alten und neuen Quellen insbesondere jenen der Rheinischen Missionsgesellschaft. Online-Veröffentlichung der gleichnamigen Bachelorarbeit an der FernUniversität Hagen aus dem Jahre 2011. https://www.sidihoni.com/images/downloads/Kalb_Pachner_Zauberstaebe_und_Datu.pdf
Kirstein, Barbara
2014 Vortrag zur Geschichte der ethnographischen Sammlung in Husum, gehalten auf der Frühjahrstagung des Schleswig-Holsteinischen Museumsverbundes im Hamburger Museum für Völkerkunde am 26.5.2014.
Sibeth, Achim
1990 Mit den Ahnen leben. Batak. Menschen in Indonesien. Stuttgart.
2001 Früher Tourismus im Batak-Gebiet, Nordsumatra (Indonesien). In: Bernhardt, Günter und Jürgen Scheffler (Hrsg.) Reisen, Entdecken, Sammeln. Völkerkundliche Sammlungen in Westfalen-Lippe. Bielefeld, S. 38 – 57.
2003 Vom Kultobjekt zur Massenware. Kulturhistorische und kunstethnologische Studie zur figürlichen Holzschnitzkunst der Batak in Nordsumatra / Indonesien. Herbolzheim.
https://en.wikipedia.org/wiki/Medan#Seaport