Projektergebnisse: Schatzfinder!
Eine Halskette aus Fidschi in Wyk auf Föhr, Glasnegative von 1918 aus Syrien in Pinneberg, sogenannte „Zauberrollen“ aus Äthiopien in Schleswig, 1000 Jahre alte peruanische Textilien in Neumünster, vietnamesische Wasserpfeifen in Fehmarn, chinesische Schachfiguren in Marne, Steuerzettel aus dem damaligen Tsingtau und heutigem Qingdao, China, in Hohenwestedt, Ölbilder eines der ersten modernen südafrikanischen Maler in Kiel, ein belgischer Brocken in Aukrug.
Dies sind nur einige der insgesamt etwas mehr als 14.000 ethnographischen Objekte, die während des Projektes erfasst, ausgemessen, professionell fotografiert, fachmännisch bestimmt und digitalisiert wurden. 14.000 Überraschungen, die eine Zeitspanne von 6.500 Jahren umfassen. Die ältesten entstanden etwa 4.500 v. Chr. in Ägypten, das jüngste Objekt wurde um 2010 in Sri Lanka erworben. 15.481 km ist die weiteste Entfernung eines Objektes vom Ort seiner Herstellung zum Museum, an dem es heute aufbewahrt wird.
Die zahlenmäßig kleinste ethnographische Sammlung bestand aus 16, die größte aus 7.649 Objekten. Hier waren wir nur einen Tag vor Ort, dort über ein Jahr. Jedes Museum wartete mit einer ganz eigenen Zusammensetzung der geographischen Herkunft der Gegenstände auf. Mal waren es 74% aus Asien, mal nur 5%, dafür aber 59% aus den Amerikas.
Auch die Materialbreite war groß: Von der Abalone-Muschel bis Stahl, vom Fell einer Albinoratte zu Kunststoff, von Pferdehaar zu Pfeilgift, von chinesischem Porzellan zu Ulmenfasern.
Die Materialien wurden verarbeitet zu Kleidung, Schmuck, Waffen, Haushaltsgegenständen, Arbeitsgeräten, Ritualgegenständen, Ölgemälden, Manuskripten oder gedruckten Büchern. Aber auch historische Fotos und Plakate von afrikanischen Fluggesellschaften waren vertreten, um nur einiges vom dem zu nennen, was wir gefunden haben.
„Die Objekte stehen in einem engen Zusammenhang mit der Regionalgeschichte, sie verbinden Lokales mit Globalem, zeigen die wirtschaftlichen Verflechtungen früherer und heutiger Zeiten ebenso auf wie frühen und gegenwärtigen Tourismus und kolonialzeitliche Expeditionen. Einige Objekte stehen im Zusammenhang mit kolonialen bzw. den beiden Weltkriegen oder sind von Überlebenden eines Genozids geschaffen (Sioux, Herero). Sie wurden mehrheitlich im Zeitraum der europäischen, kolonialen Expansion gesammelt und hergestellt, zeigen aber auch den kreativen Widerstand der Indigenen und die Ausnutzung der „Gier der Sammler“. Sie „erzählen“ von schleswig-holsteinischen Auswanderern und ihren Verbindungen in die alte Heimat, aber auch von ausländischen Mitbürgern, die Gegenstände ihrer alten Heimat einem Museum in ihrer neuen Heimat schenken. Und sie speichern altes technologisches Wissen“ (Kalka 2020).
442 Namen von Schenkerinnen, Schenkern und Verkäufern konnten ermittelt werden. Das sind 442 Ansätze, sich genauer mit der Lokalgeschichte zu beschäftigen. Unter ihnen befinden sich auch heute noch bekannte Personen wie der Maler Emil Nolde, der Weltreisende Ernst von Hesse-Wartegg, der Teilnehmer der britischen Challenger-Expedition zu Erforschung des Ozeanbodens (1872-1876), Richard Willemoes-Suhm, aber auch die Kaiserin Cixi von China, die Otto von Bismarck ein Geburtstagsgeschenk schickte. Manche Namen erfordern weitere Recherche: Wer genau war der Vater von Frau Voss, und um welche Frau Voss handelt es sich, wenn sich zum Zeitpunkt der Schenkung 44 Einträge dieses Namens im Telefonbuch finden lassen? Wir waren auch überrascht, wie viele ethnographische Objekte bereits zum Gründungsbestand der Museen gehörten. Auch wenn in diesen Fällen nicht immer der Name des Sammlers übermittelt wurde, die „Fremde“ gehörte von Anfang an dazu.
Ein großer Teil der Objekte war bereits in den Herkunftsgesellschaften zum Verkauf bestimmt und wurde auf Märkten oder in Geschäften angeboten – und vermutlich auch dort von den Sammlern erstanden. Manche Objekte wurden ausschließlich für den Verkauf an Europäer hergestellt. Andere sind Geschenke an den Sammler, wieder andere stammen aus potenziell kulturell oder historisch sensiblen Zusammenhängen und erfordern noch mehr Recherche.
Nur ein Teil der Objekte hat einen kolonialen Sammelhintergrund / eine koloniale Vergangenheit. Von den 3.481 Afrika-Objekten eines Hauses zum Beispiel wurden 43% in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts von Frauen und Männern gesammelt, die in Afrika gelebt und gearbeitet oder dort lange geforscht haben. Weitere 20 % stammen aus einer Sammlung, die ebenfalls in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts im Handel erworben wurde. 3% sind Urlaubermitbringsel nach den 1980er Jahren. Nur 9% der Objekte stammen aus den ehemaligen deutschen Kolonien, 4% wurden vor 1885 in Afrika gesammelt, 21% stammen aus ehemals englischen, osmanischen, oder französischen Kolonien.
Der Anteil der aus kulturellen oder wegen der Erwerbsumstände als sensibel zu bezeichnenden Objekte liegt bei etwa 3% und „reicht von australischen, ausschließlich Männern vorbehaltenen Ritualgegenständen über mögliche Kriegsbeute, Objekte aus kolonialen Strafexpeditionen und im Jahr 1909 erworbene Herero-Objekten [aus dem heutigen Namibia] bis zu übermodellierten Schädeln aus Papua-Neuguinea und Objekten von einem Grab“ (Kalka 2020). Nicht nur in diesen Fällen wäre eine weitere Forschung wünschenswert!
In einigen Fällen haben wir Kontakt zu Spezialisten aufgenommen. Indigene und nichtindigene Fachkollegen waren darunter, Spezialisten indigener oder außereuropäischer nationaler Kulturerbeorganisationen oder Spezialisten für Sprachen wie Äthiopisch, Burmesisch, Arabisch, Batak oder Makassar. Arbeitsfotos der Objekte wechselten die Kontinente. Einschätzungen oder Übersetzungen kamen zurück. Durch diese Vernetzung erhielten wir authentische Angaben zu den Objekten. Gleichzeitig steuerten wir, in Absprache mit den jeweiligen Museen, Fotos und andere Angaben für fremde Projekte bei. Datenbanken und universitäre Abschlussarbeiten in Hamburg, St. Petersburg und Santiago die Chile entstehen damit.
Aber auch in Schleswig-Holstein selbst hat sich durch das erfolgreiche Projekt für die und in den Museen einiges geändert. Kontakte zu fachspezifischen Restauratoren konnten hergestellt werden, Magazinsituationen wurden verbessert, die bis dahin nur lokal bekannten historischen Fotos von Aleppo wurden im Buch „Die Altstadt von Aleppo im Wandel“ veröffentlicht, Aufsätze zu Äthiopien und Altägypten sind im Entstehen, Beschriftungen werden sich ändern. Erste Objekte sind in der Datenbank „Europeana“ zu sehen und schaffen Transparenz. Veröffentlichungen in der Datenbank von www.museen-sh.de werden folgen. Mitglieder von Herkunftsgemeinschaften und andere Wissenschaftler werden auf die Objekte aufmerksam. Die Objekte erwachen aus ihrem Dornröschenschlaf und werden zu Botschaftern.
Drei Jahre in 20 Museen, die mit immer wieder neuen Überraschungen aufwarteten, waren wie drei Jahre Weihnachtsgeschenke auspacken. Manche wiederholten sich, manchmal waren richtige Schätze von überregionaler oder sogar internationaler Bedeutung dabei, und zwar ethnographische genauso wie kunstgeschichtliche und historische. Sei es eine seltene Figur eines mythischen Gründers einer afrikanischen Dynastie, eine vollständige und daher seltene (Steck-)Tierfigur eines Totengedenkrituals aus Papua-Neuguinea, eine seltene, frühe, polychrome und signierte Delfter Fayence mit asiatischen Motiven oder ein Papierfächer aus dem Geschäft eines japanischen Fotografen und Andenkenhändlers im kolonialzeitlichen, chinesischen Tsingtau/Qingdao.
Ohne das anhaltende Interesse und die tätige Mithilfe der beteiligten Museen hätten sie nicht entdeckt werden können. Danke!
Literatur:
Fansa, Mamoun und Batuol Diab
2020 Die Altstadt von Aleppo im Wandel. Einsichten - Rehabilitation - Wiederaufbau. Oppenheim.
Kalka, Claudia
2020 Erfassung und Digitalisierung von ethnografischen Objekten in schleswig-holsteinischen Museen. In: Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste (Hrsg.), Provenienz & Forschung, 01 (2020): S. 42-47.